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„Jason gab mir viel Kontra.“

Vera Salm: Sprechen wir über eines Ihrer letzten Projekte, Labor Day, ihre vierte Zusammenarbeit mit Jason Reitman. Labor Day unterscheidet sich ziemlich auffällig von Reitmans sonstigem Oeuvre und auch Sie haben andere Ansätze gewählt als in Ihren vorherigen Arbeiten für ihn. Wie sind Sie und Reitman an dieses Projekt herangegangen?
Rolfe Kent: Wir haben schon angefangen über Labor Day zu reden, als wir gerade die Arbeit an Young Adult beendet hatten. Jason hatte diese Idee, dass ich Musik schreibe, bevor er den Film dreht. Das tat ich auch, aber es war mehr oder weniger nutzlos. Man kann die Probleme eines Films einfach nicht lösen, bevor man sie überhaupt kennt. Aber er hatte diese Idee, dass Musik eine subtile Präsenz besitzen sollte – als kaum merkbarer Einfluss, der Fokus gibt, aber keine Antworten. Oft erwartet man das genaue Gegenteil von einer Filmmusik. Man will wissen, ob ein Moment traurig oder ein fröhlich ist. Das war das genaue Gegenteil von dem, was Jason für den Labor Day-Score suchte. Er wollte, dass die Musik dem Publikum nie sagt, was es fühlen soll. In anderen Worten, er wollte es so kompliziert halten, wie es ging, und dazu passt auch, wie interessant die Geschichte ist.

Können sie erzählen, worum es in dem Film geht?
Es geht um einen Mann, der aus dem Gefängnis ausgebrochen ist und eine Frau mit ihrem Sohn in gewisser Weise entführt und sie in ihrem eigenen Haus gefangen hält. Obwohl er sie gefangen hält, zeichnen sich aber emotionale Beziehungen ab – sowohl zwischen dem Mann und dem Jungen, als auch zwischen dem Mann und der Mutter. Am Anfang ist man also sehr unsicher, wohin das Ganze geht, denn der Unbekannte ist bedrohlich und alle Möglichkeiten für die Entwicklung der Geschichte sind offen. Jason wollte nicht alles ausformulieren und das Publikum wissen lassen, in welche Richtung es geht, sondern die Spannung immer lebendig halten, Intensität und Fokus in jeden Moment bringen. Das war sehr kompliziert für mich. Es ist einfach, ein Gefühl zu benennen und dann loszulegen. Aber Musik zu schaffen, die nichts dergleichen macht, die gerade nicht emotional ist, aber trotzdem packend – das ist eine große Herausforderung, die auch für mich neu war. Es hat lange gedauert, bis ich schließlich einen Weg gefunden hatte; oder zumindest hat es sich so angefühlt, denn ich fühle mich einfach nicht wohl in einem Projekt, bis ich bestimmte Schlüssel-Zutaten gefunden habe. Bis dahin stehe ich unter enormem Zeitdruck. Bei Labor Day hat es lange gedauert, bis ich diese Zutaten hatte, aber schließlich habe ich Klänge gefunden, mit denen Jason und ich zufrieden waren. Auf einmal wussten wir, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Diese Klänge bestehen hauptsächlich aus meinen Einspielungen verschiedener Instrumente, die ich anschließend stark bearbeitet habe, sodass man den ursprünglichen Klang gar nicht mehr hört. Was man hört, ist der Prozess des Masterings. Zum Beispiel habe ich auf meinem Charango – einer südamerikanischen Ukulele – einen A-Moll-Akkord gespielt und den dann so bearbeitet, dass man den Anschlag gar nicht mehr hört. Alles was man hört ist ein sehr weicher Akkord, der sich ändert und ständig seine Gestalt wechselt. Solche Momente machen den Score sehr dicht, sehr elektrifizierend und geben gleichzeitig eine strake Unsicherheit.

War es schwierig, Klangwelten zu schaffen, die weder emotional offensichtlich noch nichtssagend sind?
Ja, das war eine große Herausforderung, an der ich eng mit Jason zusammen gearbeitet habe. Immer wenn ich etwas gefunden hatte, von dem ich dachte, es funktioniere halbwegs, sagte Jason: „Gut, und jetzt muss irgendwas passieren!“, aber er konnte mir keine konkrete Anweisung geben. Schließlich war er dann wieder unzufrieden. Es war etwas hart, immer wieder zu hören, dass ich falsch lag. Normalerweise wird man in den ersten Tagen eines Projektes erst einmal gelobt und um dich herum sind alle sehr positiv gestimmt. Jason gab mir viel Kontra. Schließlich haben wir immer Lösungen gefunden, mit denen wir beide zufrieden waren. Aber es war oftmals ein Schritt nach vorne und zwei zurück. Die enge Zusammenarbeit mit Jason war sehr hilfreich.

Ich habe das Gefühl, dass der Score seine sehr klaustrophobische, unbehagliche Stimmung vor allem durch Reduktion bekommt. Da wäre das Stück, das mit einem einfachen, rhythmisch leicht versetzten Harfenostinato arbeitet (Price Mart). Wie ist zum Beispiel diese Idee entstanden?
Dieser Titel kommt in zwei Szenen vor. Er enthält außerdem noch Streichereinwürfe, die ganz sanft anfangen und dann nach einem Crescendo plötzlich stehenbleiben. Wir haben für diese beiden Stellen etwas wirklich Beunruhigendes gesucht. Dafür habe ich den zweiten Schlag des Harfen-Ostinatos ein bisschen zu früh außerhalb des Metrums gesetzt, sodass es sich immer anhört als springe die Musik etwas zu früh nach vorne. Das ist sehr unbehaglich, aber subtil. Es ist interessant – in gewisser Weise ist das genauso ein psychologisches Spielchen, das man von mir erwarten würde. Die Zuschauer empfinden dieses Stück Musik sicher als bedrohlich, aber sind sich nicht bewusst, warum. Das gleiche spielt sich auch in den Streicher-Crescendi ab, die die Zuschauer ständig an den Rand führen.


Josh Brolin als Frank und Kate Winslet als Adele in Labor Day von Jason Reitman

Ihr Score ist insgesamt sehr langsam.
Ja, das ist ein weiterer Grund, warum die Musik so unbehaglich wirkt. Alles spielt sich sehr, sehr langsam ab. Auch die Handlung und der Schnitt sind sehr langsam. Amerikanische Filme sind normalerweise sehr schnell geschnitten, doch dieser Film schlägt bewusst eine gegenläufige Richtung ein. Die Musik kann sich also in diesem neu gewonnenen Spielraum entfalten und muss nicht aufpassen, repetitiv zu wirken. Die Herausforderung dabei ist, trotzdem Veränderungen zuzulassen – die Musik kann schließlich nicht völlig langweilig werden, sie muss irgendwo hinführen – und gleichzeitig die Spannung durch Reduktion aufrecht zu erhalten.

Neben diesem emotionalen Understatement hat der Score auch melodischere, wärme Cues, wie das Thema aus Adele’s Story und Henry Grows Up.
Genau. Als ich mit dem Komponieren anfing, dachte ich nicht, dass der Score irgendwelche melodischen Parts beinhalten würde. Als ich gegen Ende feststellte, dass es genau das war, was dem Film fehlte, war es erstmal eine kleine Erleichterung. Adeles Thema entstand, nachdem ich schon einen Monat am Score gearbeitet und ein gutes Gefühl für den Film und die subtile Sprache hatte. Ich stand unter großem Zeitdruck und dann sagte Jason zu mir: „In dem Moment müssen die Zuschauer weinen“. (lacht) Ich dachte: „Ach du meine Güte, das ist eine hohe Anordnung.“ Ich wusste gleichzeitig, dass es nicht zu offensichtlich und plump sein durfte – das hätte Jason gehasst und sofort abgelehnt. Es musste also ein sehr zerbrechliches, sensibles Stück Musik sein, das sich nicht so anfühlt, als würde es die Zuschauer zu einer bestimmten Emotion bewegen, aber doch genau das sollte es tun: Die Zuschauer an den Rand der Tränen bringen. Zunächst habe ich ein Stück geschrieben und es einem Freund vorgespielt. Als der es nicht mochte, hab ich einen zweiten Anlauf gemacht. Ich habe mich für einen Tag ans Klavier gesetzt und so sanft gespielt, wie ich konnte. Sehr, sehr, sehr sanft und langsam. Ich habe den ganzen Tag damit verbracht, Phrasen mit einer sehnsuchtsvollen, traurigen Qualität zu entwickeln. Jason mochte es zur Hälfte und hatte sehr klare Anmerkungen, was er danach wollte. Das war eine enorme Erleichterung. Und im Endeffekt bin ich sehr glücklich mit dem Resultat.

Ihre Arbeit mit Reitman klingt nach einer sehr engen Zusammenarbeit.
Ja, absolut, er ist sehr involviert. Er ist sehr musikalisch, ist auch selbst Musiker. Die meisten Regisseure freuen sich, wenn ich meine Arbeit ganz alleine mache. Jason ist eine der wenigen Ausnahmen.

Lesen Sie Vera Salms vollständiges Interview in Cinema Musica 1/2104 . Erhältlich unter Abo+Bestellung

Bild des Komponisten mit freundlicher Genehmigung von Rolfe Kent
Filmbild: Dale Robinette / © MMXIV Paramount Pictures Corporation and Frank’s Pie Company LLC