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Interview mit Marius Felix Lange über seine Filmmusik zu "Neger, Neger, Schornsteinfeger"



Mike Beilfuß: Marius Ruhland, der Komponist der Filmmusik zu „Der Liebe entgegen“, schwärmte schon von der Zusammenarbeit mit dem Regisseur Jörg Grünler. Wie gestaltete sich für Sie die Zusammenarbeit?

Marius F. Lange:
Als wir uns das erste Mal trafen, um die Filmmusikeinsätze durchzusprechen, waren wir erfreulicherweise bezüglich Stil und Funktion der Musik einer Meinung. Die jahrzehntelange Erfahrung als Filmemacher war auch in Jörgs Umgang mit Filmmusik beeindruckend zu erleben. So waren seine Änderungsvorschläge nicht nur klar formuliert (und oft in musikalischer Terminologie), sondern führten immer auch zu einer Verbesserung der jeweiligen Stelle. Ich habe die Zusammenarbeit auch menschlich sehr genossen, und bin froh, daß ich auch an seinem aktuellen Filmprojekt “Lutter” wieder als Filmkomponist mitwirken darf.

Haben Sie weitestgehend Freiheit gehabt oder mussten Sie sich an Vorgaben wie temp tracks oder Wünsche aus der Produktion halten?

Es gab temp-Tracks, allerdings nur für einige Szenen des ersten Teils. Diese dienten als emotionale Orientierung, haben mich aber nicht eingeschränkt. Ansonsten habe ich mich, totz häufig zu versendender Kontroll-DVDs, recht frei gefühlt. Es gab eigentlich nur ein konkretes Eingreifen von ZDF-Seite. Zu Beginn des Films hatte ich ursprünglich eine düstere, ansatzweise experimentelle Musik geschrieben, die den Bildern des zerstörten Hamburgs entsprach und mit Jörg Grünler abgestimmt war. Von der ZDF-Redaktion kam dann der Wunsch, am Beginn des Zweiteilers möge ein großes Thema stehen, das die Freude über die Befreiung ausdrückt und voller Zuversicht und Emotionalität ist. Das ließ sich dann gut mit dem eigentlichen Hans-Jürgen-Thema umsetzen, welches nun (durchaus sinnvoll) den Film eröffnet.

Stammt die Entscheidung die Filmmusik für Orchester anzulegen vom Regisseur oder von der Produktion? Haben gar Sie als Komponist ein Wörtchen mitgesprochen?

Wer diese Entscheidung ursprünglich getroffen hat, weiß ich nicht. Als ich gefragt wurde, am Pitch teilzunehmen, stand bereits fest, daß es eine Orchestermusikproduktion für den Film geben soll. Ich habe dann allerdings viele Musiken eher kammermusikalisch angelegt, entsprechend den oft intimen, kammerspielartigen Szenen des Films.

Ihre Musik zu Neger, Neger, Schornsteinfeger ist stark leitmotivisch angelegt. Was wollten Sie mit diesem dramaturgischen Mittel erreichen?

Leitmotivische Arbeit ermöglicht das Schaffen von Bezügen. Sie kann vieles andeuten, was nicht direkt gesagt wird. Die Musik kann so zum Beispiel ein Erinnern an den Großvater Hans-Jürgens emotional verstärken, indem sie das Momolu-Thema wie im Vorbeigehen erklingen läßt. Man kann so inhaltliche Zusammenhänge schaffen, die oft unterbewußt wirken. So habe ich beispielsweise viel mit dem Motiv des “Neger, Neger, Schornsteinfeger”-Liedes gearbeitet, das die Kinder singen, um Hans-Jürgen zu verspotten. Es taucht oft als Motiv der Bedrohung auf und besitzt eine starke Verwandschaft zum eigentlichen Hans-Jürgen-Thema. Bei der Begegnung mit dem US-Panzer wird es erst sehr schrill vom Blech gespielt, und erfährt dann mit den Worten des schwarzen US-Soldaten eine Wandlung ins Versöhnlich-Warme. Es verschmilzt sogar mit dem Hans-Jürgen-Motiv. Dieser versöhnt sich somit gewissermaßen auf musikalischer Ebene mit seiner Identität.

Gibt es Komponisten die Sie beeinflussen oder einmal beeinflusst haben?

Ja, viele. In irgendeiner Weise wahrscheinlich alle, deren Musik ich bewußt oder unbewußt wahrgenommen habe. Um einige zu nennen:
Von den “Großen” (völlig ungeordnet und unvollständig): Wagner (Götterdämmerung und Meistersinger), Debussy (“Prélude á l’après-midi d’un faune”), Ravel (La Valse), Bach, Strawinsky (Sacre), Brahms (Kammermusik, 2. Sinfonie), Schumann (Liederzyklen), Puccini (Turandot), Prokofieff (Romeo und Julia), Mahler (Lied von der Erde), Strauss (Elektra, Lieder), Mussorgsky (Bilder) Schubert (Streichquintett, Lieder), Sibelius (5. Sinfonie!, Violinkonzert), Bruckner (9. Sinfonie), Verdi (Otello), Mozart (langsame Sätze aus Instrumentalkonzerten), Janácek (Jenufa, Katja), (Rimsky-Korsakoff – schon seiner Instrumentationslehre wegen, Scheherazade), Schönberg (Verklärte Nacht), Berg (Violinkonzert), Ligeti (Klavieretüden, Violinkonzert), Aribert Reimann (Lear), Szymanowski, Rautavaara, Leyendecker …und viele, viele mehr.
Filmkomponisten: Zuallererst Morricone, dann Nino Rota, Bernhard Herrmann, die Arbeiten meiner Studienkollegen an der Filmakademie Ludwigsburg u. v. m.
ansonsten: sogenannte ethnische Musik, vieles aus Jazz und Pop, die Zusammenarbeit mit dem Ausnahmeklarinettisten und Komponisten Claudio Puntin.

Sie arbeiten ja nicht nur im Filmmusikbereich, sondern komponieren auch klassische Werke. Gab es für Sie eine Initialzündung Komponist zu werden?

Eigentlich die Tatsache, daß ich meine Geigenstudium infolge Schulterproblemen nicht fortsetzen konnte und ein anderes musikalisches Ventil brauchte. Dann die Erkenntnis: Selber machen ist ja viel spannender und beglückender.

Wie finden Sie die Qualität heutiger Filmmusik? Ist Hans Zimmer ein qualitativ schlechterer Komponist als beispielsweise Erich Wolfgang Korngold oder Max Steiner?

Ich bin oft begeistert und überrascht von heutiger Filmmusik. Hans Zimmer bedient in beeindruckender Weise und passend die Filme, für die er Musik macht. Und das, obwohl er das Kompositionshandwerk im traditionellen Sinn bestimmt nicht so beherrscht wie Korngold, Steiner, Morricone oder John Williams. Filmmusik hat ihre eigenen Gesetze.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Mehr Filmmusik, mehr Kompositionsaufträge im klassischen Bereich oder beides zu gleichen Teilen?

Zeit zum Schreiben einer Großen Oper, für die ich schon lange ein Sujet habe. Auf Filmmusik möchte ich nicht verzichten.

Würden Sie einem Ruf aus Hollywood folgen?

Also wenn sie rufen würden, dann ja. Aber ich glaub nicht, daß sie rufen werden. Haben sie überhaupt je gerufen? Einen Filmkomponisten?

Vielen Dank für das Interview

Links:
Homepage von Marius Felix Lange

Hier ein Interview vom ZDF mit Marius Felix Lange