
Valerie – Eine Woche voller Wunder
Der Regisseur Jaromil Jires war Mitbegründer der Neuen Welle des tschechoslowakischen Films. Diese Filmströmung sorgte in den Sechziger und frühen Siebziger Jahren für moderne Inhalte und kritische Töne. Als wegweisend gilt hier unter anderem Jaromils Zert (Der Scherz) von 1968. Als spätes Schlüsselwerk wird Valerie a týden divu angesehen. Der 1970 aufgeführte Film basiert auf einem Roman Vitezslav Nezvals. Nezval galt als Anhänger einer poetischen Auffassung von Literatur, die eine „pure“ Dichtung ohne gesellschaftliche Einflussnahme propagierte.
Valerie a týden divu lief weder in BRD- noch in DDR-Kinos und liegt mit dieser DVD nun, mit vierzigjähriger Verspätung, hierzulande erstmals vor. Zum Glück, denn Valerie – Eine Woche voller Wunder entpuppt sich als Höhepunkt. Während Nezvals Buchvorlage eher an ein jüngeres Publikum gerichtet ist, lebt der Film von subtilen Spitzen gegen Scheinmoral und Repression. Hauptsächlich aber geht es um die junge Valerie, die wunderliche Dinge erlebt, die von erotischen Andeutungen über Begegnungen mit Vampiren reichen. Dabei stellt sich immer wieder die Frage, ob Valerie all diese Dinge tatsächlich erlebt, oder diese nur träumt. Die traumhaften Details sind zugleich sinnbildlich für die Veränderungen des jungen Mädchens auf dem Wege zur Frau zu verstehen. Diese „Coming-Of-Age“-Thematik wird derartig kunstvoll verschlüsselt erzählt, dass sich die Betrachter nur verwundert, aber beglückt, die Augen reiben können.
Der Film funktioniert auf mehreren Ebenen. Einerseits bedient er die Topoi des klassischen Genrekinos, hier vor allem durch die Vampirthematik. Der visuelle Stil und die Ausstattung wiederum spiegeln den Glanz, den Ideenreichtum und die Detailverliebtheit tschechischer Märchenfilme wieder. Zu guter letzt geht es hier auch um die Kraft der Liebe, die das Böse vertreiben und bändigen kann.Valerie – Eine Woche voller Wunder entstammt der Schatztruhe der Filmgeschichte, die nur wenige Juwelen vorzuweisen hat. Jaromil Jires Film ist ein solcher Edelstein. Einen großen Anteil daran hat die traumhafte Musik von Luboš Fišer, die aus einer anderen Welt zu stammen scheint. Die über Bildstörung erschienene DVD hat besonderes Lob verdient. Sie bietet den Film in einer exzellenten Bildqualität, die auch Fans des Films in Staunen versetzen wird. Dazu gibt es verschiedene eigens produzierte Dokus und eine alternative Filmmusik von The Valerie Project. Das sehr umfangreiche Booklet bietet gehaltvolle Texte, unter anderem von Tanya Krzywinska und Giuseppe Dierna. Der besondere Höhepunkt dieser Edition ist aber die beiliegende Audio-CD mit der Original-Filmmusik Fišers.
Das Berliner Indie-Label CMV wiederum bringt bereits seit gut zwei Jahren unter dem Titel Coming of Age Spiel- und Kurzfilme auf den Markt, die sich mit dem Thema Erwachsenwerden als gesellschaftlicher und initiativer Prozess von Jugendlichen auseinandersetzen. Das Programm bietet eine breite Mischung mit Einblicken in unterschiedlichste Kulturkreise, Inszenierungsstrategien und Herangehensweisen. Die Reihe von Genderfilmen soll für Diskussionsstoff gegen bestehende Diskriminierungstendenzen und gesellschaftlichen Konservatismus dienen und die Vielfalt menschlicher Persönlichkeitsbildung als erstrebenswertes Ideal zeigen. Gegen die Verbannung des „anders sein“ in neu entstehende tabuisierte Zonen. Hier eine Auswahl der bereits erschienen Veröffentlichungen:
Prayers for Bobby
Ein Fernsehfilm von Russell Mulcahy über das Leben von Mary Griffith. In einer Kleinstadt in den USA lebend, drängt sie durch ihre gottesfürchtig motivierten Nötigungen und ihrer Nichtakzeptanz der Homosexualität ihres Sohnes Bobby diesen in den Freitod. Erst sein Tod bringt sie dazu, ihre Vorstellungen eines gottgefälligen Lebens zu überdenken und unbequeme Fragen an sich und die Bibel zu stellen, in deren Folge sie sich zur Aktivistin für die Gleichstellungsrechte Homosexueller wandelt.
Prayers for Bobby ist ein intensiver, gut inszenierter und gespielter Film, in dem Sigourney Weaver in der Hauptrolle nachhaltig überzeugt. Diese Leistung brachte ihr eine Emmy-Nominierung ein. Die Musik des Fernsehkomponisten Christopher Ward ist dezent und überzeugt durch angemessene Zurückhaltung. Eine traurige wie emotional reiche Verfilmung, die wieder einmal die hohe Qualität von Eigenproduktionen us-amerikanischer Privatsender beweist. Daran ändert auch das etwas zu bemühte Pathos einiger Szenen nichts. Die DVD kommt mit deutscher und englischer Sprachoption, einer Bildergalerie, dem Trailer sowie Hintergrundinformationen zur realen Hauptfigur an Bord.
Pixote
Der Film handelt vom täglichen Überlebenskampf brasilianischer Straßenkinder, den Demütigungen in Waisenheimen samt sadistischen Aufsehern, von Kriminalität und Prostitution. Hector Babencos authentischer Film, 1981 auch für den Golden Globe nominiert, zeichnet eine Gesellschaft, die in Fragen des Umgangs mit den Millionen Straßenkindern, deren Familien nicht genügend Geld haben, um sich um sie zu kümmern, gänzlich und nachhaltig versagt. Somit ist der Film inhaltlich wie visuell harter Tobak und hinterlässt beim Betrachter ein Gefühl der Wut und Ohnmacht zurück. Eine ergreifende Milieustudie mit hervorragenden Laiendarstellern, die unter die Haut geht. John Neschlings Musik deutet bereits seine Meisterleistung für den 1985 gedrehten Der Kuss der Spinnenfrau an.
Die DVD besitzt deutschen und portugiesischen Ton mit optionalen Untertiteln sowie den originalen Trailer. Highlight ist die beigefügte abendfüllende Dokumentation Pixote in Memoriam, die über die Hintergründe des Films, die Dreharbeiten und die weiteren Werdegänge der Hauptdarsteller berichtet und damit eine ideale und spannende Ergänzung zum Film darstellt.
Ma Mére – Meine Mutter
Der siebzehnjährige Pierre kommt in den Sommerferien zu seinen Eltern auf die kanarischen Inseln. Als sein Vater plötzlich stirbt, nimmt seine Mutter, die als Luxus-Callgirl arbeitet, ihn bei sich auf. Nach und nach führt sie ihn in immer neue sexuelle Grenzbereiche, die letztlich zur Katastrophe führen.
Ma mère ist die Verfilmung einer literarischen Vorlage von George Batailles, der als einer der wichtigsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts gilt. Sein Oeuvre überschreitet dabei immer wieder die gängigen gesellschaftlichen Normen der Sexualität. Das versucht auch der Film, nur gelingt es ihm nicht hinreichend, im schockierenden Plot um Mutterliebe, Bondage-Spielen, öffentlichen Sex, Homosexualität, Orgien und Exzessen so etwas wie Gefühle und Leidenschaft zu erwecken. Das Geschehen wirkt kühl, die Inszenierung doch eher fad, die Charaktere fesseln nicht, sie sind nicht sympathisch, sie sind nicht abstoßend, sie bleiben Kunstfiguren, die an einem vorüberziehen. Auch nicht hilfreich wirkt die deutsche Synchronisation, die genau so leblos wirkt wie der Film und darüber hinaus noch mit unpassenden Sprechern besetzt wurde. Also eher wissenschaftliches Kino, an dem sich künftige Seminaristen abarbeiten können – nein, so schlimm ist der Film dann doch nicht, vor allem in der Originalsprache. Die DVD bietet deutschen und französischen Ton sowie optionale deutsche Untertitel. Als Bonus gibt es eine entfernte Szene, ein alternatives Ende, mehrere Trailer sowie eine Bildergalerie.
The Blossoming of Maximo Oliveros
Maximo ist zwölf und lebt mit seiner Familie in den Slums von Manila, wo er die Rolle der verstorbenen Mutter ersetzt und sich um den Haushalt kümmert. In der Familie ist sein Schwulsein allgemein akzeptiert. Schwierigkeiten tauchen erst auf, als er sich in einen jungen Polizisten verknallt, der in einem Mordfall ermittelt, in den auch Maximos Familie, die sich mit Gaunereien über Wasser hält, verwickelt sein könnte.
Hat man sich erst einmal an die Mini-DV-Optik des Films gewöhnt, die ja immer auch ein wenig nach Urlaubsvideo ausschaut, erschließt sich dem Betrachter eine herzig-lebendige Handlung, deren dramaturgische Erzähllinien dem schwulen Filmkanon zwar nichts Neues hinzufügen können, jedoch in anderer Hinsicht bemerkenswert ist. Die von leichter Hand inszenierte Mischung aus Komik und Drama ist ungewöhnlich ob ihrer unbekümmerten Vermischung des Polizei- und damit bürgerlichen Milieus mit dem der Einwohner der Slums und Kleinkriminellen.
Regisseur Solito bevorzugt einen dokumentarischen Inszenierungsstil und bleibt damit nah an der Lebenswirklichkeit der Figuren, was ein hohes Maß an Emotionalität und Einfühlungsmöglichkeit in die Protagonisten bewirkt. Als Faustpfand besitzt der Film ein gut harmonierendes Darstellerensemble um den vierzehnjährigen Nathan Lopez, der seine Sache mit Bravour meistert. Die Musik von Pepe Smith und Mike Villegas ist weder herausragend noch störend, sondern passt sich den besonderen Indie-Produktionsbedingungen an. Die DVD besitzt die Original-Tonspur in Tagalog mit deutschen oder englischen Untertiteloptionen. Zusätzlich ist ein Audiokommentar des Regisseurs (englisch ohne Untertitel), TV-Spots, Trailer und eine Bildergalerie vorhanden.
You are not alone
An einem dänischen Internat proben die Schüler den Aufstand gegenüber der Lehrerschaft, da sie die strengen Regeln der Schulleitung und ihr fehlendes Recht auf Mitbestimmung anprangern. Zeitgleich entdecken der Schüler Bo und Kim, der Sohn des Rektors, am Beginn ihrer Pubertät, dass sie mehr als nur freundschaftliche Gefühle füreinander empfinden.
Du er ikke alene greift tief in den Kanon des Coming of Age-Filmes ein. Ablehnung und Lösung von Autoritäten, Klassenunterschiede, Gefühlschaos, Machtrangeleien, negative wie positive Gruppendynamiken. Neben gut aufgelegten Darstellern und einer straffen Regieleistung überraschen vor allem zwei Aspekte des Films. Zum einen schafft er es trotz aller angeschnittenen Themen und der damit einhergehenden Tendenz zur Überfrachtung, das Geschehen stimmig darzubieten, ohne in ein pädagogisches Lehrstück abzugleiten. Hinzu kommt ein liberaler Grundtenor zum Vorschein, dem Diskriminierung und andere ausgrenzende Erscheinungen nicht einmal ansatzweise, auch nicht für eine vorgeblich gute oder richtige Sache zugehörig sind. Das ist realitätsfremd, gewiss, aber als konzipierter Jugendfilm zeigt er ein gesellschaftliches Ideal auf, dem es nachzueifern gelten sollte. Somit ist der Film auch nach mehr als dreißig Jahren noch hochaktuell. Für die Musik gilt auch hier, dass sie sich dezent zurück nimmt und damit das Spiel der Darsteller behutsam unterstreicht.
Es ist aus Kostengründen verständlich, jedoch insgesamt schade, dass der Film keine Synchronisation bekommen hat, die seinen Einsatz an Schulen oder Jugendzentren erleichtert hätte. Trotzdem, gut das er nun auch in Deutschland verfügbar ist. Die deutschen Untertitel zur dänischen Originalsprache sind gut lesbar. Als Bonus gibt es eine Alternativfassung der Films in einem leicht variierenden Letterboxformat sowie zwei Trailer.