
Am Sonntag, den 12. November 2006 starb nach einem Krebsleiden einer der meistbeschäftigsten und bekanntesten Filmkomponisten der DDR: Karl-Ernst Sasse.
Innerhalb von 30 Jahren hat er bis zum Mauerfall insgesamt 543 Filmmusiken komponiert.
Zu seinen bekanntesten Werken zählen z.B. die DEFA-Indianerfilme Spur des Falken (1968), Weiße Wölfe (1969), Ulzana (1974) und Blutsbrüder (1975) Signale – Ein Weltraumabenteuer (1970), Lotte in Weimar (1974), Im Staub der Sterne (1976), Die Verlobte (1980), Moritz in der Litfasssäule (1983) die TV-Reihe Sachsens Glanz und Preußens Gloria (1985-87) und zahlreiche Episoden der TV-Serie Polizeiruf 110.
Noch im Mai dieses Jahres durfte ich anlässlich eines Interviews den sehr gesprächigen Komponisten in seinem Haus in Potsdam-Babelsberg kennenlernen. Dort schon erzählte er in seinem unnachahmlich lakonischen Sinn für Humor, dass er gerade noch vor einem Monat schon im Krankenhaus war und so gerade noch dem Tod von der Schippe gesprungen sei. „Dieses Mal noch nicht“, sagte er. Nun ist es leider doch passiert. Voller Trauer ob der Plötzlichkeit habe ich von seinem Tod Kenntnis genommen.
Es ist ein starker Trost, dass Karl-Ernst Sasse ein sehr vollkommenes und glückliches Leben in seinem Interview hat Revue passieren lassen. Er wirkte sehr zufrieden, sprach voller Begeisterung von seiner Arbeit und war ja bis zuletzt noch voller Tatendrang. So machte er immer noch aufwendige Arrangements für bekannte Blechbläserensembles, die z.B. bei der Musikschau der Nationen aufgetreten sind. Karl-Ernst Sasse war in der DDR einer der technisch versiertesten Komponisten, der auch im Bereich der elektronischen Musik immer auf der Höhe der Zeit war. Mein erster Berührungspunkt mit Karl-Ernst Sasse war vor ca. zehn Jahren, als mir zum ersten Mal seine Musik in dem TV-Mehrteiler Sachsens Glanz und Preußens Gloria aufgefallen ist. Welch ein Glück, dass Sasse selbst sie damals gerade auf CD veröffentlicht hatte. Die ganz im Stil des Barock gehaltene Komposition hatte mich mit ihren unzähligen wunderschönen Themen und Motiven stark beeindruckt.
Wie Karl-Ernst Sasse nach dem Interview und im Beginn der Abenddämmerung noch mit mir durch Babelsberg gefahren ist, um zahlreiche Anekdoten über UFA- und Defa-Stars zu erzählen, wird mir immer unvergessen bleiben.
Auszug aus dem Interview mit Karl-Ernst Sasse:
Mike Beilfuß: Wie sieht Ihre tägliche Arbeit aus? Oder sind Sie ein Nachtarbeiter?Karl-Ernst Sasse:
Ich wollte keinen Beruf wählen, wo man früh aufstehen muss – ich möchte schon lieber länger aufbleiben. Aber da lese ich lieber, da arbeite ich nicht. Oder wenn, dann muss es eine schnelle oder rein mechanische Arbeit sein. Komponiert habe ich nachts nie. Wenn man abends etwas komponiert, denkt man sich: „Uh, ist das schön“, aber morgens früh schmeißt man das wieder weg. Wenn man in einer euphorischen Stimmung komponiert, dann ist man ja nicht nüchtern. Morgens kann man am besten auswerten, was man sich nachts ausgedacht hat.
Nein, im Kopf. Im Kopf und dann gehe ich an den Computer. Wenn im Kopf kein Thema fertig habe, bringt das Herumklimpern am Klavier nichts, das ist bloße Zeitvergeudung. Da macht man etwas so und so, und dann ist es weg. Man hat keine Zeit zum Denken. Wenn ich ein Thema suche, das bestimmte Kriterien erfüllt, dann muss ich darüber nachdenken können. Ich muss mir das Thema sozusagen in Noten vorstellen. Abends vorm Schlafen gehen ist das sehr schön, vorm Einschlafen. Und wenn ich mir es dann in Noten vorstelle, dann behalte ich es auch. Wenn ich das nicht mache, dann habe ich es schnell wieder vergessen. Nur wenn dann die Weiterverarbeitung kommt, dann kann ein Klavier hinzukommen oder auch der Computer. Ich schreibe dann meistens die Partitur im Computer, das geht sehr gut. So rennt man sich durch. Also zu tun habe ich noch genug; es kommen auch immer Anfragen und jetzt kam eine Anfrage aus Karlsruhe, das Heeresmusikcorps hat angefragt, und die Berliner wollen auch kommen und gucken, ob ich was für sie habe. Ob ich eine festliche Musik für Blasorchester hätte, tatü, natürlich habe ich eine, die kann ich denen dann vorführen und wenn sie ihnen nicht gefällt, dann mache ich eine neue – ist doch ganz einfach. Wie meine Crew mal zu mir gesagt hat: „Du hast es gut, wenn du eine Harmonie brauchst, machst du dir eine.“ Das war bei den Aufnahmen zu dem Film Abschied. Wenn’s dann eben nichts ist, dann schmeißen wir’s weg und machen ein neues Stück.
Darf ich noch einmal auf Ihre DEFA-Indianerfilme zurückkommen? Gab es hier musikalische Vorbilder?Ja. Es gab damals ja schon einiges an Westernmusik. Elmer Bernstein und solche Leute haben den Charakter dieser Musik bestimmt. Das war auch genau der Charakter, den man für den Film haben wollte. Die wussten schon genau, was gefragt war. Als Filmkomponist bin ich Filmkomponist, da mache ich das, was die anderen wollen. Wenn ich autonome oder authentische Musik mache, schreibe ich ein Streichquartett. Aber das hören sich dann sieben Mann an und damit hat es sich erledigt. Das ist ein Haufen Arbeit für sieben Männeken. Also da schreibe ich lieber Filmmusik, das heißt das was verlangt wird, und gehe auf die Wünsche meiner Auftraggeber ein. Man muss allerdings mit allen Wassern gewaschen sein, man muss alle Stile beherrschen, alles machen können. Zum Beispiel für den Film Beethoven, da kamen sie mit einer Spieluhr von Mälzel an. Mälzel, der das Metronom erfunden hat, der hat auch eine Spieluhr konstruiert, und da hieß es dann: „Die Musik da drin, die dürfen wir aber nicht nehmen, aber so soll es klingen – jetzt musst du eine machen.“ Nun ist das aber so, dass diese Spieluhr ihre Töne mit Luftzug erzeugte und kein Trompeter, kein Bläser kann so spielen. Da habe ich zwei Flügelhörner bestellt und den Musiker gesagt, wie sie spielen sollen. Dann habe ich noch eine kleine Flöte und Fagotts eingesetzt und ein bisschen Synthi, damit kann man ja alle Anblasvorrichtungen machen. Mit drin war auch noch eine Geige mit unendlichem Strich. Dafür habe ich mir den Hippie-Krause bestellt; Hippie-Krause war ein berühmter Western-Geiger in Berlin. Wenn ich also Western-Musik machen wollte, dann habe ich mir Hippie-Krause bestellt. Wobei ich wusste, dass es eine Menge guter Musiker gibt, mit denen man alles machen kann. Denen kann man sagen: „Stell dich auf den Kopf, sing Halleluja und spiel dazu die G-Seite!“ – das haben die gemacht. Das gibt es aber sehr selten bei Musikern. Der normale Musiker setzt sich auf seinen Stuhl und wenn man ihm sagt: „Kommen Sie mal einen Meter näher“, dann rutscht er auf seinem Stuhl nach vorne und ist immer noch an derselben Stelle. Solche Leute konnte man für diese Sachen nicht gebrauchen und Hippie-Krause, den konnte man durch die Wäschemangel schicken. Der hat dann Geige gespielt ohne abzusetzen. Und das machte dem Spaß. Das ist im Grunde das Interessante an der Filmmusik: Es macht Spaß, solche Experimente durchzuführen; zu sehen, das und das muss hinten raus kommen, das möchten die Leute haben.
Heute schreibt ja jeder seine Musik selbst und macht irgendwas am Computer.
(Zitiert aus: Cinema Musica Ausgabe 5, Juli 2006)