
Sony Classical 88697975882 [65:23 / 18 Tracks]
John Williams hat sich während den letzten sechs Jahren in der Filmmusikwelt etwas rar gemacht. Nachdem er 2005 mit vier sehr gelungenen Kompositionen Filmmusikenthusiasten, Kritiker und Preisjurys begeisterte, erntete er mit seiner Filmmusik zu Indiana Jones and the Kingdom of the Cristal Skull (2008) geteilte Kommentare. Jetzt, nach gut 3 Jahren, meldet er sich mit The Adventures of Tintin: The Secret of the Unicorn zurück. Die Erwartungen an seine neueste Filmmusik sind entsprechend enorm, und das Ergebnis ist auch durch und durch ein klassischer Williams-Score, doch klingen viele altbekannte Ideen an, womit die Komposition in Punkto Originalität etwas ernüchtert, und das eine oder andere zusätzliche, prägnante Thema hätte das Hörvergnügen noch gesteigert.
Mit Tintin liefern die beiden Hollywood-Giganten Steven Spielberg (als Regisseur) und Sir Peter Jackson (als Produzent) eine Motion-Capturing-Animation-Version der Abenteuer des Reporter Tim (engl.: Tintin) und seines Hundes Struppi (Snowy) nach den Comics des belgischen Zeichners Hergé (1907-1983) ab. Film und Story bauen auf Komik, furiose, mit Slapstick versetzte Action, Abenteuer, eine Priese Suspense und leichtes Drama. Ein Potpourri, das für eine breit ausgelegte Filmmusik wie geschaffen scheint. Die Filmmusik von John Williams deckt denn auch viele dieser Elemente ab, wobei die gesamte Komposition fast durchgehend ein sehr hohes Tempo und viel Verspieltheit aufweist. The Adventures of Tintin erinnert von der Art her stark an den Opener von Catch Me if You Can (2002). Das dürfte zum Film und der Figur passen, jedoch nicht jedem Hörer. Auch darunter leidet die (erhoffte) Originalität der Komposition.
In Snowy’s Theme erklingen deutlich frankophone Musikelemente, welche die weiteren Minuten der Filmmusik prägen. Hier drängen sich einem nicht selten Assoziationen mit Passagen aus Michael Giacchinos Ratatouille (2008) auf. In Snowy’s Theme, aber auch dem Thema für die Schulze und Schultze (Track 4) spielt das Klavier (in virtuosem Spiel), die Handorgel und die Williams-typischen Klarinetten-Einwürfe eine große Rolle. In Sir Francis and the Unicorn wird es dann zum ersten Mal wirklich düster und unterschwellig episch. Diese Abwechslung im Klang ist nach dem verspielt-furiosen Auftakt ganz willkommen. Überhaupt ist die vorliegende Komposition dahingehend als reines Hörerlebnis recht fordernd, da ruhigere, ”šübersichtliche”˜ Passagen selten sind (erst im sehr schönen The Captain’s Counsel) und prägnante Themen leider etwas fehlen. Tintin weist leider kein Ohrwurm wie z.B. Harry Potter oder Indiana Jones auf. Ein erstes prägnantes Thema erklingt in Red Rackham’s Curse and the Treasure. Dieses Thema begeistert dann in voller Länge im abschließenden The Adventure Continues nochmals. So etwas hätte man im Score gerne noch prominenter gehört!
Es ist wohl schon so, dass John Williams für The Adventures of Tintin: The Secret of the Unicorn – mit großer Wahrscheinlichkeit dem Beginn einer Franchise – kein Themenkolosse als Auftakt mit auf den Weg gegeben hat. Trotzdem ist die Filmmusik von hervorragender, handwerklicher Qualität, wenn auch als reines Hörvergnügen wohl einigen allzu eigensinnig. Dieser Williams ist nicht der schwelgerisch-epische aus Jurrasic Park, Harry Potter oder Hook, sondern Tintin bewegt sich irgendwo zwischen Catch Me if You Can, The Terminal und Minority Report. Zu diesem Score dürfte dann der für Ende Jahr angekündigte Soundrack zu War Horse das pure Kontrastprogramm sein, und damit die Fans des anderen Williams genauso begeistern.
★★★★
Basil Böhni