
Unter dem Label Special Screenings werden seit kurzem rare Genrefilme veröffentlicht. Den Anfang machte vergangenen Herbst Lindsay Shonteffs Sumuru – Die Tochter des Satans (1967). Nun folgt mit Teufelskreis Y (1968) eine noch größere Überraschung. Der britische Psychothriller von Roy Boulting ist erstaunlicherweise etwas in Vergessenheit geraten, bietet er doch Spannung in bester Hitchcock-Tradition. Der junge Martin Durnley ist ein ambivalenter Charakter. Sein vermögender Stiefvater hätte ihn gerne aus dem Haus, die Mutter aber hängt sehr an ihm. Allerdings kann Durnley nur schwer Empathie für die Eltern, wie auch für andere Menschen empfinden. Als er sich in die junge Studentin Susan verliebt, nimmt das Unheil seinen Lauf. Durnley gibt sich naiv und hat doch mörderische Pläne…
Bekanntheit erfuhr Twisted Nerve, so der Originaltitel, erst wieder im Zuge von Tarantinos Kill Bill, hier aber eher musikalisch. Das eingängige Pfeifthema, das sich seitdem großer Beliebtheit erfreut, stammt aus Twisted Nerve. Geschrieben wurde es, wie auch der Rest der Filmmusik, von Bernard Herrmann. Das erwies sich als kluger Schachzug der Produktion. Herrmann brachte sämtliche Erfahrungen und Ausdrucksmöglichkeiten seiner Zusammenarbeit mit Alfred Hitchcock ein. Die Musik gibt dem Film eine besondere Stimmung und fängt den Wahnsinn Martins ideal ein. Das Thema wird im Laufe des Films auch immer wieder von ihm gepfiffen, ein Leitmotiv im besten Sinne also. Teufelskreis Y ist hoch spannend, immer wieder mit trockenem britischem Humor gewürzt. Die Edition von Special Screenings ist hervorragend. Auf zwei DVDs finden sich die britische Kinofassung sowie, die etwas kürzere, deutsche Verleihfassung. Das sehr schöne, umfangreiche Booklet rundet diese mustergültige Veröffentlichung ab.
Eine Offenbarung ist die neue, enorm umfangreiche Edition von Tobe Hoopers The Texas Chainsaw Massacre (1974). Das Label Turbine hat es nach jahrelangem Engagement geschafft, den in Deutschland mehrmals verbotenen Film rechtlich zu rehabilitieren. Dieser gilt als Meilenstein des Terrorkinos und blieb nicht ohne Auswirkungen auf das Horrorgenre. Vor allem das Sounddesign ist stilbildend, bietet es doch komplexe Toncollagen anstelle einer symphonischen Filmmusik. In den 1970ern gab es verschiedentlich Filmtonexperimente mit Klangcollagen, etwa auch für David Lynchs Eraserhead. Beiden Filme gemein ist der ausgefeilte Umgang mit ungewöhnlichen Geräuschquellen, jedoch mit erheblich anderem Ergebnis. Während Eraserhead die innere Verzweiflung eines Menschen auch akustisch erlebbar macht, betont die Akustik in Hoopers Werk den äußeren Terror, erzeugt eine unbehagliche Atmosphäre allgegenwärtiger Bedrohung. Insofern ist The Texas Chainsaw Massacre von besonderem filmhistorischen Interesse. Die Edition von Turbine ist eine kulturelle Leistung ersten Ranges, vor allem auch wegen des kommentierenden, sehr umfangreichen Bonusmaterials.
Die Edition beinhaltet den Film auf DVD und Blu-ray. Gerade die Blu-ray zeigt den Film in hervorragender Qualität, wie man ihn zuletzt wohl nicht einmal im Kino sehen konnte. Enthalten ist jeweils die originale Fassung, die deutsche Kinoversion entbehrte ehedem kurze Sequenzen. Der Ton ist jeweils in Deutsch und Englisch abrufbar, ehedem fehlende Passagen wurden aufwendig nachsynchronisiert. Geboten werden verschiedene Audiokommentare, darunter unter anderem mit Regisseur Tobe Hooper und den Darstellern. Dem Set liegen zwei Bonus-DVDs bei, die eine wahre Fundgrabe an Zusatzmaterial sind. Neben entfernten Szenen und Outtakes finden sich zahlreiche Kino- und Rundfunktrailer. Die umfangreichen Dokumentationen bieten gewinnbringende Einblicke in die Entstehungsgeschichte des Werks. Erwähnenswert ist auch ein über zweistündiges „Expertengespräch“, unter anderem mit Roland Seim und Jörg Buttgereit. Das dicke, sechzigseitige Booklet ist eher ein kleines Buch. Es enthält erschöpfende Hintergrundinformationen und Unterlagen zur besonderen Zensurgeschichte des Films in Deutschland. Das 4-Disc-Set von The Texas Chainsaw Massacre ist eine besondere Empfehlung für jeden Filmliebhaber.
Das 10. Opfer (1965) ist im Gesamtwerk des Regisseurs Elio Petri eher ungewöhnlich. Es ist das Jahr 2066, das Morden ist mittlerweile legalisiert. In arrangierten Schaukämpfen treten Freiwillige auf Leben und Tod gegeneinander an, als Preis winkt Geld und ein sorgenfreies Lebens. Die Freiwilligen werden von normalen Bürgern gejagt, für die Menschenjagd ein sportlicher Zeitvertreib ist. Durch Zufall treffen Marcello und Caroline aufeinander. Sie will ihn töten, er lässt sich nicht anmerken, dass er darum weiß… Petris Film ist die Adaption einer Buchvorlage Robert Sheckleys, die bislang mehrere Male verfilmt wurde. Zu nennen sind hier unter anderem Tom Toelles Fernsehklassiker Das Millionenspiel (1970) oder Yves Boissets Kopfjagd – Preis der Angst. In poppigen 1960er-Jahre-Farben gehalten, voll mit futuristisch-stylischen Kostümen und Dekors wird eine Zukunftsvision entworfen, in der kurzweiliger Spaß das Maß der Dinge ist.
Auch wenn sich die Medienlandschaft seit den 1960er Jahren erheblich gewandelt hat, wirkt Das 10. Opfer auch heutzutage nicht überholt. Zum einen sind da die großartigen Darsteller wie Marcello Mastroianni und Ursula Andress, zum anderen Regisseur Petri, der seine offenkundige Gesellschaftskritik hier geschickt im Popartambiente verpackt. Bemerkenswert ist die Musik Piero Piccionis, die den Film noch deutlicher als bizarres Popartspektakel mit politischem Unterton verortet. Das Label Bildstörung bietet den Film als DVD- und Blu-ray-Ausgabe an. Gerade auf Blu-ray kommt die farbenreiche Optik besonders zu Geltung. Es ist ein Genuss, optisch anspruchsvolle Klassiker wie diesen in einer solchen Pracht zu sehen. Der Ton liegt wahlweise in Deutsch und Italienisch vor. Hervorragend ist auch der Essay im beiliegenden Booklet, der biographische Details des Regisseurs aufführt. Ein besonderes Extra in Spielfilmlänge ist die berührende Dokumentation A Sweet Life über den Schauspieler Mastroianni, in der zahlreiche Weggefährten zu Wort kommen. Besonderen Wert gewinnt die Dokumentation vor allem auch wegen der zeitgenössischen Interviews mit Mastroianni. Eine bessere Veröffentlichung kann man sich hier nicht wünschen. Von der DVD- und Blu-ray wird jeweils zusätzlich eine streng limitierte Special Edition angeboten, die ebenfalls eine CD mit dem Soundtrack von Piero Piccioni enthält. Neben den Sixties-Beat-Arrangements Piccionis überzeugt hier auch die von Mina gesungene Nummer Spiral Waltz.
Kurt Hoffmanns Der Kapitän (1971) brilliert mit dem sympathischen Heinz Rühmann in einer Paraderolle. Er spielt Kapitän Ebbs, einen Seebären, der bisher nur Frachtdampfer gefahren ist. Als sein alter Kahn auseinander zu brechen droht, erhält er die Chance seines Lebens – Ebbs wird zum Kapitän eines Luxuspassagierschiffs befördert. Dort muss er sich mit seiner neuen Rolle erstmal zurechtfinden, denn der Small Talk mit Gästen, anhängliche Passagierinnen oder inkorrekte Zahlmeister waren nicht gerade die Probleme, die er bisher hatte. Zudem überwacht der Eigentümervertreter Carstens, gespielt von Horst Tappert, der hier wirklich komisches Talent zeigt, jeden Schritt Ebbs´ mit Argusaugen… Es menschelt also auf dem Luxusdampfer und Rühmann zeigt sich von seiner besten Seite – charmant, verschmitzt, herzlich. Die lockere Musik stammt von James Last, es wurden zahlreiche Aufnahmen der Schallplattenfirma Polydor verwendet. Darsteller, Musik und Regie schaffen es, einen heiteren, unbeschwerten Film entstehen zu lassen. Der Kapitän ist ein Unterhaltungsfilm der alten Schule, ohne aber altmodisch zu sein. Die Figuren interessieren, die Darsteller sind durch die Bank weg Hochkaräter. Nicht nur deswegen sahen den Film damals über drei Millionen Kinozuschauer. Auf DVD ist dieser schöne Film nun von Pidax veröffentlicht worden. Die Qualität geht für eine Produktion der frühen 1970er Jahre auf jeden Fall in Ordnung. Das beiliegende Booklet ist informativ, enthält viele Hintergrundinformationen und bietet zahlreiche Abbildungen. Alles in allem eine schöne, sehr empfehlenswerte Scheibe.
Im Zuge der James-Bond-Reihe kam eine europäische Agentenfilmwelle auf, die bis Anfang der 1970er Jahre anhielt. Feuer frei auf Frankie (1967) ist Joachim Fuchsbergers Ausflug ins Genre dieser Euro-Spy-Filme. Die deutsch-italienisch-spanische Koproduktion hat zudem zahlreiche weitere bekannte Darsteller dieser Ära vorzuweisen, darunter Rik Battaglia, Eddi Arent, Erika Blanc und Hollywood-Exilant Walter Barnes. Fuchsberger gibt es hier gleich zweimal, spielt er doch eine Doppelrolle. Einmal ist er Dr. Bargher, der Assistent eines Professors. Dieser entwickelt einen besonderen Treibstoff, der für die Raumfahrt überaus nützlich sei kann. Es kommt wie es kommen muss. Der Professor wird entführt und lässt dabei sein Leben. Hier kommt nun Frankie ins Spiel, der Zwillingsbruder von Dr. Bargher und natürlich auch von Fuchsberger gespielt. Frankie gibt sich als sein Bruder aus, um diesen vor weiteren Attacken zu schützen. Was folgt ist eine explosiv-unterhaltsame Filmmischung, die auch musikalisch glänzt. Die Filmmusik wurde von keinem geringeren als Piero Umiliani verfasst, bekannt durch Mah Na, Mah Na. Sie ist rhythmisch, aktionsgeladen, mit einer Prise Humor und passt sich damit dem unterhaltsamen Film wunderbar an. Die DVD von Pidax bietet ein ausführliches Booklet mit Filminformationen sowie zahlreichen Abbildungen und sei hiermit empfohlen. Der selten gezeigte Film wurde in guter Qualität veröffentlicht.
Ein anderer, nicht minder interessanter, Agentenfilm ist Die 7 Masken des Judoka (1967), zeitgleich auch bei Pidax erschienen. In der Hauptrolle zu sehen ist hier Heinz Drache, genau wie Fuchsberger eine prägende Figur der deutschen Edgar-Wallace-Filme. Der Titel lässt es bereits vermuten – Drache verschlägt es in fernöstliche Regionen. Die deutsch-französisch-italienische Koproduktion hat für den deutschen Kinoeinsatz eine recht frivole Synchronisation verpasst bekommen, was ihr etwas die Ernsthaftigkeit nimmt. Das ist aber auch gut so, denn die Geschichte ist natürlich, wie die meisten Filme des Genres, nur mit einem Augenzwinkern zu sehen. Es geht um die geheime Organisation Schwarzer Drache, die durch ein perfides Druckmittel die Weltherrschaft erobern möchte – eine Atombombe! Hier kommt nun Heinz Drache, alias CIA-Agent Finn ins Spiel. Dieser muss nicht nur das Verschwinden eines amerikanischen Piloten klären und allerlei gefahrvolle Kampf- und Actionszenen bestehen, sondern auch die Welt retten. Die 7 Masken des Judoka ist ein herrlicher und unterhaltsamer Film, von einer Leichtigkeit, die vielen aktuellen, überproduzierten „Blockbustern“ gut zu Gesicht stünde. Die Musik hat zwar nicht den Ohrwurmcharakter wie Umilianis Feuer frei auf Frankie, untermalt das aberwitzige Geschehen aber perfekt und sorgt für zeitgeistige Gefühle. Pidax bietet auch hier wieder ein schönes Booklet mit Informationen und Bildmotiven.
Nackt über Leichen
In der Hochphase des europäischen Genrefilms waren Verleiher nicht zimperlich, wenn es darum ging, Filme an den vermeintlichen Geschmack des heimischen Publikums anzupassen. Hollywood-Studios passten meist gut auf, dass ausländische Synchronisationen, Schnittfassungen und Betitelungen sich nicht allzu weit vom Original entfernten, europäischen Produzenten war das scheinbar egal, Hauptsache das Geld stimmte. Ein schönes Beispiel für Titelkreativität ist der italienische Thriller Una sull”˜ altra (1969), dessen deutsche Fassung als Nackt über Leichen vermarktet wurde. Das junge Label Edition Tonfilm hat ihn nun auf einer vorbildlichen DVD herausgebracht. Auf DVD-Cover, Wendecover, Schuber und im beiliegenden Booklet kann man nicht nur die Filmplakate aus aller Welt, sondern auch die sehr unterschiedlichen Titel dieses Filmes bewundern. Amerika blieb mit der getreuen Übersetzung des italienischen Originaltitels (One on Top of the Other) noch exakt bei der treffenden Beschreibung der Filmhandlung, während Frankreich (Perversion Story) und Spanien (Una Historia Perversa) sich eher auf die erotischen Aspekte des Reißers konzentrierten. In Deutschland ging man mit Nackt über Leichen dagegen aufs Ganze. Dieser Titel mag hierzulande feingeistige Kinogänger allerdings eher abgeschreckt haben, die dadurch eine spannende Geschichte um Liebe, Versicherungsbetrug und den elektrischen Stuhl verpassten. Gewürzt wurde diese mit Reminiszenzen an Hitchcocks Vertigo, trotz des Handlungsortes San Francisco, veredelt mit einer großartig agierenden Euro-Besetzung aus Jean Sorel (Frankreich), Marisa Mell (Österreich) und Elsa Martinelli (Italien). Heutzutage interessieren sich Kultfilm-Fans für diesen Film vor allen Dingen, da er unter der Regie Lucio Fulcis entstand, legendär für seine blutig-phantastischen Zombie-Filme der 1980er Jahre. Die mit hervorragendem Bild, Ton und Bonusmaterial überzeugende DVD beweist indessen, dass Fulci, der auch Komödien, Spaghetti-Western und Gialli drehte, einen Psychothriller wie diesen ebenso kompetent, fesselnd und elegant umsetzen konnte. Auch die Filmmusik von Riz Ortolani macht Laune. Zur Entstehungszeit des Filmes war der von Ennio Morricone aus der Taufe gehobene „Giallo-Sound“, ein nervöser Free-Jazz gemixt mit süßlichen Lounge-Themen, noch nicht zum Dogma für Filme dieses Genres geworden, und so begeistert Ortolani hier noch mit kraftvollem Bigband-Jazz, der die Atmosphäre der amerikanischen Drehorte widerspiegelt. Der Ton liegt wahlweise in Deutsch, Englisch und Italienisch vor, die deutsche Kinosynchronfassung ist exzellent.
Das Geheimnis des schreienden Schädels
Einen schreienden Schädel kennen die einen oder anderen vielleicht vom Morgen nach einer durchzechten Nacht, in diesem amerikanischen Schwarz-Weiß-B-Film aus dem Jahre 1958 geht es aber um einen Geist mit Totenschädel. Der erscheint einer frisch verheirateten jungen Frau, die im stattlichen Anwesen ihres Mannes keine rechte Ruhe finden mag. Kein Wunder, kam doch nicht nur die vorangegangene Frau ihres Mannes bei einem tragischen Sturz ums Leben, es ertranken auch ihre eigenen Eltern vor nicht allzu langem. Ein geistig verwirrter Gärtner sowie seltsame Geräusche in der Nacht sind nur der Anfang des Leidens für das arme Mädchen, denn schon bald erscheint ihr… – ein schreiender Schädel! Die Information, dass es sich bei dem Opfer um eine Millionenerbin handelt, heißt vielleicht schon zu viel verraten zu haben. Wer hinter dem nächtlichen Spuk steckt, ist nicht besonders trickreich verborgen. Trotzdem macht dieser Low-Budget-Film Spaß, wenn man diese Filme, wie sie auch der junge Roger Corman in wenigen Tagen herunterkurbelte, schätzt. In diesem Fall heißt der Regisseur jedoch Alex Nicol, war eigentlich Schauspieler und chargiert nebenbei durch die Rolle des seltsamen Gärtners. Das Geheimnis des schreienden Schädels kursierte in den USA nur noch auf minderwertigen DVDs, in inakzeptablen Fassungen. Edition Tonfilm hat sich dieses Kleinods nun angenommen. Es gelang sogar, die originale deutsche Kinofassung aufzutreiben, die seit dem damaligen Kinoeinsatz niemand je wieder gesehen hat. Die Abtastung der deutschen Filmkopie hat dabei wunderbar-nostalgisches Kinoflair. Die Synchronisation ist hervorragend und hebt den „Schreienden Schädel“ gleich noch mal auf eine andere Ebene. Auf der DVD sind also zwei unterschiedliche Fassungen – die amerikanische und die deutsche, die einen leicht veränderten Anfang hat. Der stimmungsvolle Score, mit Mini-Orchester, Frauensopran und dramatischem Klimperklavier, ist von niemand geringerem als Ernest Gold. Zum Schreien!