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Avengers: Endgame (Alan Silvestri)

Avengers: Endgame (Alan Silvestri)

Komponist Alan Silvestri hat sich mit tosender Action-Musik einen Namen gemacht. Auch wenn er für viele andere Genres ebenfalls markante Arbeiten geliefert hat –u.a. Back to the Future (1985), Bodyguard (1992), The Abyss (1989), Forrest Gump (1994), The Polar Express (2004) – so werden «Best of Silvestri»-Listen meist von Action-Scores dominieren – u.a. Predator (1987), Judge Dredd (1995), The Mummy Returns (2001) und The Avengers (2012). Epische Klangcollagen mit tosendem Blech und stampfender Perkussion wurden zu seinem Markenzeichen. Die Avengers-Filmreihe konzentrierte sich von Beginn an auf bombastisches Heldenkino, das sich natürlich im alles umfassenden Finale Avengers: Infinity War (2018) und Avengers: Endgame (2019) von den Regisseuren Anthony und Joe Russo zur ebenso alles übertreffenden Höchstform aufschwingen musste. Ein Projekt, das geradezu nach einer Silvestri-Filmmusik schreit – und als dessen Rückkehr für besagtes Schlussbouquet dieser Franchise dann auch bestätigt wurde, schnellten die Erwartungen unter den Fans sogleich noch mehr in die Höhe. Und wie so oft entpuppt sich dann ein erwartetes Hohelied in eine eher maue Ballade. So leider geschehen mit der Musik zu Infinity War – keinesfalls schlecht oder zu leise, aber es fehlte an Dynamik und innovativen Höhepunkten, um wirklich begeistern zu können. Infinity War bot zu wenig Abwechslung und strapazierte mit ewig-epischem Klangcharakter. Mit Endgame verhält es sich zum Glück besser: mehr Emotionen, mehr Themenstatements und Reminiszenzen, mehr musikalische Abwechslung. Alles in allem macht das Album zu Endgame Spass – nicht mehr, aber auch nicht weniger. 


Diese Rezension bezieht sich auf das physische Album. Nach der Weltpremiere von Endgame wurde sogleich ein digitales Album mit knapp 117 Minuten Musik veröffentlicht – für Fans natürlich ein Muss. 40 Minuten Laufzeitunterschied ist zwar substanziell, aber man darf feststellen, dass es die hörenswerten Passagen fast alle auch auf die 77-minütige CD geschafft haben. Einzig die knackigen Action-Stücke Tunnel Scape und Get This Thing Started wären auch auf der CD willkommen gewesen, doch dafür hätten wiederum andere Musikmomente ausgespart werden müssen. 
Viel bedauerlich ist, dass diverse Musikthemen-Zitate, die Alan Silvestri in seine Musik eingeflochten hat, weder auf dem digitalen noch auf dem physischen Album zu hören sind – Lizenzgebühren sollen dies verunmöglicht haben. In den Avengers-Filmen treffen alle Marvel-Helden aufeinander. Avengers: Endgame ist der 22. Marvel-Heldenfilm geworden seit dem Auftakt mit Iron Man im Jahr 2008 (Musik von Ramin Djawadi). Seither haben unterschiedliche Komponisten für Marvel-Filme Musik komponiert – Alan Silvestri vertonte «nur» Captain America: The First Avenger (2011), The Avengers (2012) und nun das Avengers-Finale mit Infintiy War und Endgame. Für Captain America und für Avengers schrieb Silvestri tolle Hauptthemen und diese sind denn auch in seiner Musik für Endgame wieder zu hören. Doch im Film selbst konnte man auch kurze Themen-Anleihen an Ant-Man (2015; Musik von Christophe Beck), Doctor Strange (2016; Musik von Michael Giacchino), Thor: Ragnarok (2017; Musik von Mark Mothersbaugh) und Captain Marvel (2019; Musik von Pinar Toprak) hören. Mit Ausnahme vom Spiel der Hardangerfiedel u.a. im Stück Snap Out of It, das an Thor: Ragnarok erinnert, sind auf dem Album keine dieser thematischen Querverweise ausfindig zu machen. 


Der Show-Stopper in Avengers: Endgame ist auch weiterhin das markante, kraftvolle Avengers-Thema. Wann immer dieses fragmentarisch (The How Works) oder in voller Pracht und Wucht (u.a. One Shot, Portals und Main on End) zu hören ist, hat die Musik wieder die volle Aufmerksamkeit des Hörers. Zu diesem Ohrwurm gesellst sich ein neues, sehr schönes Thema für die Avengers-Familie, erstmals zu hören in Totally Fine. Dieses neue Thema erklingt mehrheitlich ruhig, reflexiv, melancholisch (so auch im Stück I Figured it Out, The Measure of a Hero und Whatever it Takes), trägt am Schluss des Films und des Albums mit etwas mehr Kraft vorgetragen aber auch entscheidend zur edlen Wehmut bei. Die Stücke The Real Hero und Main on End präsentieren das Marvel-Familien-Thema in seiner schönsten Form und zählen nicht zuletzt deshalb definitiv zu den Highlights der Endgame-Musik, wobei sich diese Stücke auch weit oben in Silvestris gesamtem Oeuvre hören lassen dürfen. 
Überraschende Töne sind in den Stücken The How Works, So Many Stairs und In Plain Sight zu vernehmen. In diesen Momenten sind nicht nur im Film humoristische Aktionen zu sehen, sondern in der Musik mit jazzigen Dreingaben auch zu hören. Silvestri wartet hier kurz mit willkommener Leichtigkeit auf, wobei das Spiel auf Tom-Toms, Trompete, Flöte und Gitarre dem teils aufgegriffenen Avengers-Thema einen witzigen, coolen neuen Vibe gibt. 


Avengers: Endgame markiert die gelungenste Arbeit von Alan Silvestri für das Marvel-Musikuniversum, wobei er frühere Kompositionsansätze auch hier wieder gelungen zum Einsatz bringt. Das dominierende Pathos und die epische Schwere sowie auch die Menge an Musik lassen aber auch Endgame streckenweise als zähes Hörerlebnis in der Erinnerung zurück. Da sind Arbeiten wie bspw. The Mummy Returns oder jüngst seine Musik zu Ready Player One (2018) einfach abwechslungsreicher und knackiger ausgefallen. Doch in Endgame wartet Silvestri mit einem höheren Mass an musikalischer Diversität auf als in The Avengers und Infinity War – mehr Themen, mehr stilistische Wechsel – und auch einer angenehmen Balance zwischen lauter Action und ruhigeren Momenten. Für mich reicht indes eine gestrafte Version mit den Stücken I Figured it Out, The How Works, One Shot, Not Good, I Was Made for This, Tres Amigos, Portals, The One, The Real Hero und Main on End – zusammen gut 35 Minuten Musik. Dazu noch die tollen Stücke Assemble aus The Avengers, Even for You aus Infinity War und den Captain America March aus Captain America: The First Avenger und meine Silvestri/Marvel-Playlist ist komplett. 


Mit Endgame beschliesst Alan Silvestri zwei ausserordentlich geschäftige und wuchtige Arbeitsjahre, wobei aktuell noch keine nächsten Vertonungsarbeiten bestätigt wurden. Doch nach dieser geballten Ladung an Action wäre es herrlich, von Silvestri wieder mal eine kleine, feine Comedy- und/oder Drama-Filmmusik zu hören. Denn solche Töne schlägt er mindestens so gekonnt an. 


★★★★
Basil Böhni


USA 2019 / Musik-VÖ [CD]: 13. Mai 2019 
Hollywood Records (Universal Music) 
77:26 Min / 29 Tracks 
Kinostart (D): 24. April 2019