Werbung

powerflute.ch - Sandro Friedrich Studiomusiker für ethnische Blasinstrumente

Man kann nicht immer Glück haben

Nicht jeder Schuss ist ein Treffer und auch auf der Berlinale kann man mit der Wahl seiner Filme nicht immer Glück haben. Der französische Wettbewerbsbeitrag Les Témoins von André Téchiné war zum Beispiel eher ein Kampf gegen überkommende Müdigkeit denn ein guter Film. Gefangen in den düstersten Klischees des französischen Beziehungsfilm kämpft die Cast um Emmanuelle Béart und Michel Blanc mit den typischen Problemen: Sie liebt ihn, will aber ihre sexuelle Freiheit, wie er auch; er liebt ihn, aber er liebt ihn nicht, dafür aber ihn; er ist doch nicht so hetero wie erwartet und so… Nun gut, kurz bevor es auch noch zum Inzest kommt, kriegt der Film doch noch die Kurve und bietet ihn seinem Mittelteil doch noch eine unerwartete Handlungswendung auf. Einer der Charaktere, Manu (Newcomer Johan Libéreau, der eine respektable Schauspielerleistung abgibt) erkrankt an AIDS, was – der Film spielt 1984 – noch eine mysteriöse und unbekannte Krankheit ist. Plötzlich hat der Film eine ganz andere Problemschärfe; plötzlich müssen sich die Charaktere damit auseinander setzen, wer sie sind und was sie wollen und nicht bloß mit wem sie es wollen. Nun, Manu stirbt, doch damit ist der Film der noch lange nicht zu Ende, der Regisseur lässt seinen Figuren noch lang genug Zeit, wieder in ihren alten Handlungsmustern zu versanden. Warum sollte es auch anders sein? Es hat sich ja niemand angesteckt, obwohl es Gelegenheit genug dafür gegeben hätte. Schade eigentlich, die Qualität der Darsteller hätte soviel mehr hergegeben. Die Musik von Philippe Sadre ist ähnlich trostlos wie der Plot, sie hat zwei Musikstücke, die bestenfalls in der Länge variiert werden, ein romantisierendes für Liebesszenen und herrmannesques für Szenen mit innerer Spannung. Das war’s.


Er, er und sie. (Johan Libéreau, Michel Blanc und Emmanuelle Béart)

Man will ja alles ausprobieren, dafür bietet die Berlinale ein weites Spektrum abseits der Wettbewerbsfilme, zum Beispiel mit der Sektion Forum. So kann der geneigte Zuschauer selbst Filmen von Leuten, von denen man noch nie gehört hat, über Leute, von denen man noch nie gehört, eine Chance geben. Schließlich ist es nie zu spät, sich kennen zu lernen. In dem Dokumentarfilm Tout refleurit (All blossoms again) von Aurélien Gerbault wird das Werk des portugiesischen Filmemachers Pedro Costa vorgestellt. Dieser hat Filme über das Lissabonner Armenviertel Fontainhàs gedreht, mit Amateurschauspielern aus dem Vierteln, aber mit Einstellungen, die artifizieller nicht sein könnten. Man fühlt sich im wahrsten Sinne des Wortes wie in einem schlechten Film, wenn man dies sieht. Ohne eine Aussage zu treffen, ohne einen Inhalt zu transportieren lässt der Film Pedro Costa erzählen, dass er zum Beispiel Filme macht indem er morgens die Kamera nimmt und dann den Bus, um zu einem Drehort zu kommen. Wobei es natürlich egal ist, ob es ein Bus ist oder eine Fahrrad oder gar ein Auto. Der Kampf gegen die überkommende Müdigkeit schien verloren, doch dann Musik. Zum ersten Mal nach über einer Stunde Film. Gezeigt wurden Tonaufnahmen mit einem eher ungewöhnlichen Instrument, einer selbstgebauten Geige, deren Klangkörper eine alte Kaffeedose war. Ein wirklich spannender Klang – fremdartig dissonant und blechern – und hoffentlich findet mal ein Komponist Verwendung für diesen Klang.