
Ich finde, dass es an dieser Stelle mal erwähnt werden sollte: Man kann sich an Kino tatsächlich satt sehen, selbst wenn die Filme größtenteils gut sind. Bis zu vier Filme an einem Tag machen es schwer, die einzelnen Filme noch zu rekapitulieren. Die Vorstellung mal den nächsten Tag nicht ins Kino zu gehen und stattdessen vielleicht mal etwas ganz anderes zu machen, gewinnt zunehmend an Reiz. Aber auch das ist kaum möglich, denn selbst wenn man sich dann doch die Zeit nimmt und mal guckt, was H&M zu bieten hat, steht plötzlich Jamie Bell vor einem in der Schlange und kauft sich Socken. Und schon ist man wieder da, wovon man eigentlich weg wollte: in der Welt des Kinos. Jamie Bell war nämlich hauptsächlich in Berlin, um den Film Hallam Foe des schottischen Jungregisseurs David Mackenzie (Young Adam) zu promoten.
Jamie Bell spielt Hallam Foe, einem 18jährigen Sohn reicher Eltern, der nach dem Selbstmord seiner Mutter den Kontakt zur Realität nur noch durch sein Fernglas finden kann. Nach einem „Zwischenfall“ mit seiner Stiefmutter, die er des Mordes an seiner Mutter verdächtigt, flieht er nach Glasgow, wo er Anstellung als Küchenhilfe in einem Hotel findet, um der Frau nahe zu sein, die aussieht wie seine Mutter. Ein interessanter Film im Stile so vieler britischer Filme der letzten Jahre, energiegeladen und nah an seinen Protagonisten. Jamie Bell lässt einmal mehr den Billy Elliot hinter sich und zeigt, dass er sich ohne weiteres als nun erwachsener Schauspieler etablieren wird. Keine Originalmusik, sondern Brit-Pop aktueller hauptsächlich schottischer Bands unter anderem die Shootingstars von Franz Ferdinand. Musikdramaturgisch sehr gelungen und der Stimmung des Filmes angemessener als es ein Score sein würde. Durch die Musik kriegt der Film eine Natürlichkeit, eine Ungezwungenheit die angenehm im Kontrast zum gestörten Innenleben der Titelfigur steht.
Der Kaiser von Äthopien und Dítě (Ivan Barnev) – Begegnung auf Augenhöhe
Jiri Menzel gewann 1966 mit Ostre sledované vlaky (Liebe nach Fahrplan) den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Danach hat ihn die internationale Öffentlichkeit ein wenig vergessen. Zwar immer noch gern gesehener Gast auf Filmfestivals unter anderem auch in Berlin, aber ansonsten musste er das Schicksal all jener Fremdsprachen-Oscar-Gewinner, die nicht nach Hollywood gewechselt sind, teilen und in seiner tschechischen Heimat weiter Filme drehen. Zum Glück aber gibt es ja die Festivals und so ist Jiri Menzels neuester Film Obsluhoval jsem anglického krále (I Served the King of England) als Wettbewerbsbeitrag zur Berlinale eingeladen worden. Eine tschechisch-slowakische Koproduktion mit europäischer Besetzung; in den Hauptrollen Ivan Barnev aus Bulgarien, Oldrich Kaiser aus Tschechien und Julia Jentsch aus Deutschland.
Nach einem Roman des tschechischen Autoren Bohumil Hrabal – der übrigens auch die Vorlage für Liebe nach Fahrplan geschrieben hatte und so etwas wie der Lieblingsautor des Regisseurs ist, der sich seiner Stoffe mehrfach angenommen hat – erzählt I Served the King of England die Geschichte des Kellners und Lebenskünstlers DítÄ›, der nur ein Ziel im Leben hat, nämlich Millionär zu werden und das trotz seiner geringen Größe. Dabei umspannt der Film den Zeitraum von den Gründerjahren der Tschechoslowakei über die deutsche Besatzungszeit bis in die Jahre des kommunistischen Regimes hinein. DítÄ› weiß in jeder Zeit seinen Platz zu finden, und sei es zu dem Preis, mit den Nazis zusammen zu arbeiten, bis ihn schließlich die Kommunisten ins Gefängnis werfen. Ein wunderbares Beispiel dafür, wie man nicht nur schwere Themen amüsant verpacken kann, sondern auch dafür wie man mittels eines konsequenten Handlungsbogens, eine stabile Gesamtspannung aufbauen kann, die den Zuschauer über die gesamte Länge zu fesseln mag. Eine Komödie reich an visuellen Einfällen und Tiefgang, wie es sie viel öfter geben sollte. Bei der schönen Grundstimmung des Filmes spielt natürlich die Musik eine wichtige Rolle. Komponiert von Ales Brezina bedient sie sich verschiedenster Elemente der komischen Musik aus den jeweiligen Zeitebenen, beginnend mit einer schönen vaudevillelesquen Nummer, die Erinnerungen an die großen Stummfilmkomödianten weckt. Dieser Film hat ein breites Publikum in Deutschland verdient, vielleicht kann ja die Jury der Berlinale ihren Teil dazu beitragen.