R: Federico Fellini; D: Marcello Mastroianni, Claudia Cardinale, Anouk Aimee
Musik: Nino Rota
Arthaus/ Kinowelt Home Entertainment
Film: ★★★★★
Musik im Film: ★★★★★
DVD-Technisch: Bild: ★★★★ Ton: ★★★★ Extras: ★★★☆
Die DVD-Herausgeber von Kinoklassikern haben es nicht leicht: Während bei Produktionen aktueller Filme immer schon auf die Zweitauswertung hingearbeitet wird, Verträge spätere Audiokommentare sichern und am Set gleich noch behind the scenes gedreht wird, diktiert hier mühevolle Archivarbeit, um den Klassiker mit dem mittlerweile als DVD-Standard betrachteten Bonusmaterial aufmöbeln zu können. Dazu gesellt sich der Fluch, dem cinephilen Publikum gerecht werden zu müssen, das in puncto Werkgenese eh alles besser weiß und über die Jahrzehnte mehr Produktionsmythen im Kopf gesammelt hat als der digitale Speicher je auszuspucken in der Lage wäre. Um Belieferung neuer Informationen bemüht, hat die Firma Arthaus ihre Neuveröffentlichung von Fellinis Achteinhalb (I 1963) mit einem Making-of-Film über das alternative Ende ausgestattet. Dieser kommt mit seiner Kompilation aus seltenen Filmstills, alten und neu gedrehten Interviews zwar ambitioniert, aber leider auch etwas unausgegoren daher. Zum Beispiel hat man es versäumt nachzufragen, ob Woody Allen von jener Schlusssequenz wusste, erinnert diese doch stark an den Auftakt von Stardust Memories, Allens Achteinhalb-Hommage von 1980.

Trotz dieser Abstriche bei den Extras – auf der Bonus-Disc gibt es lediglich noch einen Trailer und Biographienotizen – bleibt die Faszination für Fellinis Geniestreich natürlich ungetrübt. Sein achteinhalbes Werk – nach sechs Lang-, zwei Kurzfilmen und der Co-Regieproduktion Luci del Varieta – ist autothematisches Kino in seiner schönsten Form. Die tragisch-skurille Geschichte über den beruflich wie privat in einer Sackgasse steckenden Regisseur Guido Anselmi – verkörpert von Fellinis Alter Ego Marcello Mastroianni -, der selbst bei einem Kuraufenthalt keine Ruhe findet, hat Standards im Bereich des director’s/writer’s block-Themas gesetzt. Mit seinen surrealen Schwarzweiß-Bildern durchbricht Fellini die Konventionen des italienischen Neorealismus und gibt dem Kino neue ästhetische Impulse. Dabei beeindruckt unter anderem die Eigensinnigkeit, mit der Fellini seinen außergewöhnlichen Stil von Anfang bis Ende durchzieht. Fließende Übergänge zwischen scheinbar objektiver Kamera- und subjektiver Figurenperspektive entsprechen Guidos Isolierungsversuchen vor der Außenwelt und seinen permanenten Fluchten in Kindheitserinnerungen und (Tag-)Träume. Nur hier hat er noch die Möglichkeit, seine Potenz zeitweilig zurückzugewinnen. Beispielsweise als Dompteur, der seinen devoten Frauen – darunter Claudia Cardinale und Anouk Aimée – zum Walkürenritt mit der Peitsche befiehlt. Nur eine von zahlreichen unvergesslichen Szenen.
Wie in jedem großen Fellini-Film spielen neben klassischer, die Opulenz der Bilder überhöhender und ironisierender (Opern-)Musik die Partituren von Nino Rota eine Schlüsselrolle. Nino Rota ist nach Ennio Morricone der vielleicht berühmteste italienische Filmkomponist. Für die eingängigen Themen zu den ersten beiden Der Pate-Teilen (USA 1972, 1974) bekam er Grammy und Oscar, seine orchestralen Scores zu La Strada – Das Lied der Straße oder La Dolce Vita haben eine Eigenständigkeit entwickelt, die selbst die Hymnen eines John Williams in den Schatten stellen. Rotas Musik ist hauptverantwortlich für die Formulierung der Quintessenz in Achteinhalb: Wenn Guido am Ende mit seinem Filmteam und seinen Freunden vor der riesigen Filmkulisse Ringelrein tanzt, dann hat ihn der hierzu ertönende und ins Prestissimo kulminierende Marsch – die „Passerella“ – endlich aus der Resignation gerissen. Über Rotas überschwängliche Jahrmarktsmelodie aus Pauken und Trompeten hat Regisseur Guido zum Ursprung des Kinos: zum kinematischen Budenzauber zurückgefunden, der ihm als Inspirationsquelle dienen könnte. Bei Fellini hat’s ja auch geklappt!
Sebastian Kuhn

