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Die Oscar-Diskussion Teil 2 - Der Oscar für Gustavo Santaolalla

Ein Kommentar von Mike Beilfuß

Auch meine erste Reaktion auf die Verkündung des Gewinners des diesjährigen Musik-Oscars war kopfschütteln. Gustavo Santaolalla schon wieder! Warum?
Auch wenn seine Musik zu Brokeback Mountain kein Meilenstein ist, hat sie doch Hollywood ein selten geschlossenes und karges Klangkonzept gebracht, dass in dieser Hinsicht in einem angenehmen Gegensatz steht zu all den hochtrabenden Bombast-Orchesterproduktionen mit Besetzungen weit über 100 Personen und oftmals aufwendigen Chorpassagen. Auch wenn die Filmproduktion in Deutschland noch weit weg ist von solchen „herrlichen“ Arbeitsbedingungen, in Hollywood ist das Standard. Eine Musik wie die von Gustavo Santaolalla zu Brokeback Mountain könnte da wie eine Art Befreiung, wie etwas anderes gewirkt haben.

Allerdings: Ist die Auszeichnung „kleinerer“ Musiken wirklich etwas Neues beim Oscar? In den letzten 10 Jahren gab es doch immer wieder die Tendenz auch kleineren musikalischen Produktionen den Oscar zu geben: Jan A.P. Kaczmarek für Finding Neverland, Nicola Piovani für Das Leben ist schön oder John Corigliano für The Red Violin. Und nun Babel. Bei allem Verständnis für die Wahl von Brokeback Mountain – diese Wahl ist unverständlich. Dabei war die Academy auf einem so guten Weg, denn mit Desplats The Queen, Newmans The Good German, Navarretes Pan’s Labyrinth und Glass’ Notes on a Scandal hatte die Academy eine erstaunlich gute Nominierungsliste vorgelegt, die einen großen Teil der Produktionen und Komponisten berücksichtigt, die wirklich eine herausragende Filmmusik in letzter Zeit abgeliefert haben.

Wenn der Oscar wirklich so schlecht und unbedeutend sein soll, wie kommt es dann zu einer so guten Auswahl? Ich teile auch nicht die Meinung meines Kollegen der Oscar sei nicht relevant und beachtenswert. Nicht nur in der Kategorie Musik, sondern auch in vielen anderen Kategorien und Auszeichnungen, mal abgesehen von dem völlig überbewerteten Dreamgirls, präsentierte sich der Oscar 2007 äußerst stark. Endlich einmal wurde wieder ein Filmjahr gewürdigt und nicht, wie oft davor, war es das bloße abfeiern einer kompletten Schlachtentriologie wie Lord of the Rings, die alle anderen Filme zu ersticken drohte.
In dieser Hinsicht würde ich meinem Kollegen zustimmen, in Jahren mit Lord of the Rings oder Titanic oder dutzenden anderen Beispielen mit Filmen die zu viele Oscars haben, droht sich der Oscar künstlerisch selbst zu zerstören.

Zerstört die Auszeichnung von Babel nun die Integrität der Jury? Meine Antwort ist trotz des Kopfschüttelns: Nein!
Zwar finde ich, dass jede andere der nominierten Musiken den Vorzug hätte bekommen müssen (meine beiden persönlichen Lieblinge waren Pan’s Labyrinth und Notes on a Scandal), dennoch ist die Auszeichnung für Babel auch nachvollziehbar. Das musikalische Konzept zu Babel überzeugt auf der ganzen Linie. Die kargen, oftmals auf ein interpretierendes Instrument zurückgezogenen Melodielinien Santaolallas stehen in wirkungsvollem Kontrast zu den sehr extrovertiert über dem Film liegenden Kompositionen. Allen voran der phänomenale Einsatz von Ryuichi Sakamotos „Bibo No Aozora“ für Piano, Violine und Cello, dass in der Schlusssquenz den Zuschauer in eine Art Trance begleitet und dem ohnehin sehr guten und keinesfalls zu langem Film einen wunderbaren Abschluss gibt.
Aber, was zeichnet die Jury denn nun aus? Den Preis für das beste musikdramaturgische Konzept? Nein. Der Preis geht an Gustavo Santaolalla! Er hält den Oscar in der Hand und nicht der Regisseur für seine musikalischen Fremdeinfälle – und davon hat Babel einige. Sakamoto sei da nur als ein stellvertretendes Beispiel genannt.
Zwar hat Santaolalla eine recht schöne Melodie komponiert, die in der Rettungsszene von Cate Blanchett auch einen wunderschönen Einsatz hat, – aber reicht das, und eine passende Hintergrundkomposition, wirklich aus für einen begründeten Oscar?

Meiner Ansicht nach hat sich die Jury von einer sehr extrovertiert und zugegebenermaßen brillant über dem Film liegenden musikdramaturgischen Konzeption blenden lassen. Babel hat Musik die auffällt, die gleich ins Gehirn springt, weil sie eben noch mehr „über“ dem Film liegt als die anderen nominierten Kompositionen. Ausgezeichnet werden sollte jedoch der Komponist – und da waren alle anderen besser. Eine Nominierung für Babel und Santaolalla ist absolut gerechtfertigt, die Auszeichnung ist es nicht.