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powerflute.ch - Sandro Friedrich Studiomusiker für ethnische Blasinstrumente

Memoirs of a Geisha (John Williams)

Sony 287674708-2 (61:11 Minuten; 18 Tracks)


Trotz seiner nunmehr 73 Jahre ist Williams aktiv wie eh und je und hat sich für das Jahr 2005 gleich vier größere Filmprojekte zum Vertonen ausgesucht. Nach den beiden mehr routiniert denn inspiriert bewältigten Sci-Fi-Blockbustern STAR WARS EPISODE 3 und WAR OF THE WORLDS wurden unter den Fans doch immer mehr Unkenrufe laut, daß Williams vielleicht doch zu alt sei und ihm die nötige Kraft fehle, um in der Gegenwart noch substantielle Partituren kreieren zu können. Wie sich hingegen jetzt mit der Veröffentlichung von MEMOIRS OF A GEISHA zeigt, sind wohl andere Faktoren ausschlaggebend gewesen. Offenbar hat er die beiden Effektespektakel nur als musikalischen Aperitif betrachtet, um sein Hauptaugenmerk dagegen auf diese Verfilmung des Bestsellers von Arthur Golden zu richten, die im Japan der 30er Jahre spielt und von einem Mädchen handelt, das bereits im Alter von 9 Jahren zur späterhin umworbenen Geisha ausgebildet wurde.
Obwohl Steven Spielberg als Regisseur aus Zeitgründen ausstieg und durch Rob Marshall ersetzt wurde, blieb Williams dem Projekt treu: Zum einen, weil er selbst vom Buch fasziniert war, und zum anderen, weil er dabei die große Chance sah, erneut mit den beiden weltberühmten Instrumentalisten Yo-Yo Ma und Itzhak Perlman zusammenarbeiten und ihnen breit angelegte Solo-Partien auf den Leib schreiben zu können.
Was nun auf CD vorliegt, ist auch autonom gesehen ein musikalisches Ereignis, denn von den bisherigen drei Williams-Arbeiten dieses Jahres – direkt an Weihnachten wird noch Spielbergs MUNICH folgen – ist MEMOIRS OF A GEISHA fraglos die anspruchsvollste. Interessant ist vor allem die Symbiose zwischen seinen Filmkompositionen und den modernen Konzertwerken der letzten Jahre (wie etwa “Five Sacred Trees” oder “Treesong”), die Williams hier eingeht. Die Musik ist dabei auf einem so hohen kompositionstechnischen Niveau angelegt, daß die meisten anderen 2005er-Scores hinsichtlich Klangfarbenreichtum, kontrapunktischer Raffinesse und Virtuosität im Umgang mit dem Orchester mühelos abgehängt werden.
Auf Action-Scoring verzichtet Williams hier fast ganz zugunsten eines eher meditativ aufgezäumten Tonsatzes, der weder vor minmalistischen, aber wirklich gut eingesetzten Steicherostinati – ähnlich wie bei A.I. – und spröden ethnischen Shakuhachi und Koto-Einlagen zurückschreckt. Das japanische Kolorit, das Williams in ein paar fast atonal-avantgardistisch zu nennenden Stücken ausreizt, hat seine Ursprünge in seinem Flötenkonzert von 1969, in den experimentellen Teilen der IMAGES-Partitur und natürlich in den neueren Konzertwerken wie etwa dem Fagottkonzert, wo man ganz ähnliche klangliche Exotismen finden wird.
Diesen ein wenig abstrakten Teilen, die aber nur sporadisch erscheinen, stehen die beiden Hauptthemen (eines für Cello und eines für Violine) gegenüber, die in beinahe traumhaft zu nennenden, wirklich anrührenden Stücken ihre Aufwartung machen.
Williams braucht hier nur in wenigen Abschnitten ein richtig sattes, großes Orchester aufzufahren, um durch melodische Intensität zu berühren. Das im ersten Track Sayuri’s Theme noch recht unauffällig erscheinende Geisha-Thema nistet sich mit zunehmender Dauer immer mehr im Gehirn des Zuhörers ein und wird im weiteren Verlauf hervorragend verarbeitet (und natürlich auch interpretiert) – diese nobel-stoische, von den Streichern getragene Melodielinie kann man geradezu als würdevolles und intensives Charakterporträt der Frauenfigur bezeichnen.
Und wie Williams dann immer wieder andere Instrumente wie Oboe, Harfe oder Hörner solistisch zwischenschaltet, da zeigt sich einfach der wahre Meister. Manche Tracks wie etwa Becoming a Geisha (Track 6), Garden Meeting (10), Confluence (16) oder das lange Finale Sayuri’s Theme and End Credits (Track 18) sind sehr ergreifend und zugleich kompositorisch so dicht gewoben, daß sie absolut zum Besten gehören, was mir dieses Jahr überhaupt in neuen Filmmusiken zu Gehör gekommen ist. Es gibt dabei thematische Bezugspunkte etwa zu der elegischen Klangwelt von THE FURY, ANGELA’S ASHES oder SEVEN YEARS IN TIBET, aber es ist doch keinerlei Imitat herauszuhören.
Beeindruckend ist, daß Williams bei dieser Partitur keine Kompromisse eingeht und sich nicht im geringsten um irgendwelche Hollywood-Konventionen der Gegenwart schert. Auch wenn mir nicht alles auf Anhieb zusagt und und ich mit manchen ethnischen Abschnitten leichte Schwierigkeiten habe, so muß man doch die Ernsthaftigkeit und die Konsequenz dieses Unternehmens bewundern. Es ist sicherlich keine Arbeit, die sich beim ersten Durchhören erschließt, sondern der man sich in Ruhe und Konzentration aussetzen sollte.
Man darf gespannt sein, ob Williams sich MUNICH mit demselben Engagement wie hier geschehen nähern wird.

Bewertung: ★ ★ ★ ★
Stefan Schlegel