R: Alfonso Cuarón; D: Clive Owen, Michael Caine, Julianne Moore
Musik: John Tavener
Verleih: Universal
Film: ★★★★★
Musik im Film: ★★★★☆
DVD-Technisch: Bild ★★★★, Ton: ★★★★☆, Extras ★★★★
Bittere Zukunft:
England im Jahre 2027. Seit 18 Jahren wurde kein Kind mehr geboren. Der Inselstaat ist das letzte funktionierende Staatssystem auf einer sonst von Anarchie und Chaos durchzogenen Erde. Vor den Grenzen sammeln sich Menschen unterschiedlichster Nationen, leben in bitterster Armut und versuchen irgendwie in den letzten noch halbwegs zivilisierten Staat zu gelangen. Innerhalb Englands lebt auch die Hauptfigur des Films – und der Romanvorlage von P.D. James – Theo Faron (Clive Owen). Wie viele seiner Staatsangehörigen ist auch Theo ein desillusionierter, depressiver Charakter, der sich ob der Zukunftslosigkeit dem Alkohol und anderen Drogen zugewendet hat, lustlos seinem Beruf nachgeht und in den Tag hinein lebt.
Eines Tages überschlagen sich die Ereignisse: seine politisch im Untergrund aktive Ex-Frau (Julianne Moore) bittet ihn ihrer Organisation beim Schutz und der Reise der einzigen schwangeren Frau zu helfen. Eine Odysee beginnt…
Düsterer Realismus:
Alfonso Cuarón sorgte zuletzt mit seiner sehr düsteren, nicht immer kindgerechten Verfilmung des dritten Harry Potter für Furore. Seinen ersten größeren Erfolg hatte er 1991 mit Love in the Time of Hysteria. Sein erster Achtungserfolg in Hollywood war der wundervolle und detailverliebte Kinderfilm A Little Princess (1995). Sein Faible für Ausstattung zeigte er dann 1998 in der gefloppten modernisierten Dickens Adaption Great Expectations, ehe er in dem grandiosen Y tu mama tambien (2001) wieder zu den anspruchsvolleren mexikanischen Wurzeln zurückfand. Sein ganz großer Durchbruch mit Harry Potter 3, der bei Kritikern und im Filmbusiness sehr positiv aufgenommen wurde, ebnete ihm in Hollywood viele Wege.
Cuarón hat seine Freiheiten in Hollywood genutzt und präsentiert mit Children of Men einen der besten Filme der letzten Jahre und einen neuen Höhepunkt in der Geschichte des realistischen Science-Fiction-Filmes. Einen düsteren und abgründigen Stoff setzt er mit Hollywoodmitteln geschickt und spannend in Szene, ohne dabei die Geschichte aus dem Blick zu verlieren. Seinem Faible für lange Shots lässt Cuarón in einer der heftigsten Actionszenen des Films freien Lauf: ungeschnitten überlässt er fast 7 Minuten seinen Held dem Geschehen und folgt ihm mit der Kamera in einen heftigen Zusammenstoß zwischen Terroristen und Armee. Seit Steven Spielbergs Anfangsszene in Saving Private Ryan war eine solche Nähe zum Kampfgeschehen nie wieder so spürbar. Die Kunst Cuaróns liegt darin, diese Realismen nicht bloßes filmisches Mittel zum Selbstzweck sein zu lassen, sondern sie in eine wohlkonstruierte Geschichte mit interessanten Charakteren zu stellen (allen voran der spleenige Althippie Jasper Palmer, grandios und unerwartet gespielt von Michael Caine, und die Ex-Frau Julian Taylor, deren Aufenthalt im Film und eine sich reaktivierend anbahnende Liebesgeschichte zwischen ihr und dem Helden des Films, entgegen allen Hollywoodmechanismen, abrupt beendet wird).
In Children of Men verbindet sich inhaltliche Relevanz mit formaler filmischer Brillanz. Ein Regisseur, der es schafft gegenwärtige Sorgen und Probleme der Menschheit in einem Hollywoodfilm zu thematisieren und obendrein derart geschickt in eine vorantreibende, spannende und bildgewaltige Utopie zu verpacken, den darf man ohne Zweifel als eines der größten Regietalente unserer Zeit bezeichnen. Children of Men ist nach Y tu mama tambien sein zweites großes Meisterwerk.

Tavener statt Doyle
Nach A Little Princess, Great Expectations und Harry Potter arbeitete Alfonso Cuarón bei Children of Men ausnahmsweise nicht mit seinem bevorzugten Komponisten Patrick Doyle.
Schon während der Dreharbeiten wurden zur Stimmungsuntermalung die elegischen Streicher- und Chorstücke des aus dem klassischen Kompositionsbereich stammenden Briten John Tavener gespielt. Direkt für den Film hat John Tavener das 15minütige Stück Fragments of a Prayer komponiert, das sich durch einen starken Solo-Gesangspart im Sopran hervortut.
Ansonsten befinden sich auf der vorliegenden Soundtrackveröffentlichung von Varèse hauptsächlich Stücke aus dem klassischen Konzertkanon des Komponisten, die von Werken von Penderecki, Mahler und Händel ergänzt werden. Der Einsatz der Musik liegt im Film über den Bildern: nicht Schnitte, Sound Design oder Kameraschwenks werden musikalisch unterstützt, sondern vielmehr versucht Cuarón mit seinem Musikeinsatz auf einer anderen Ebene eine eigene lyrisch-elegische Klang-Athmosphäre zu schaffen. Das gelingt vortrefflich. Taveners Musik bewegt sich musikalisch zwischen Pärt, Elgar und Barber, hat trotz dieser Referenzen dennoch einen eigenen musikalischen Stil. Keine Frage: Cuaron hat einen ausgezeichneten musikalischen Geschmack – sonst hätte er auch Patrick Doyle kaum so lange die Stange gehalten. Die beiden finden sich bestimmt wieder.
Der Soundtrack zu Children of Men hat im Januar 2007 vollkommen zurecht den Vierteljahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik gewonnen.
Die DVD:
Kurz und knapp zum technischen: Ton und Bild sind sehr gut. Auf der 2 Disc Special Edition befinden sich neben einigen wenigen entfallenen Szenen, auch zwei gut gemachte kurze Filme zu Special Effects und Ausstattung. Zudem gibt es eine etwas ausgefallene Variante eines Kommentars. Nicht etwa der Regisseur selbst oder einer der Schauspieler gibt seine Kenntnisse zum Besten, sondern der slowenische Philosoph, Kulturkritiker und Poststrukturalist Slavoj Zizek spricht seinen interpretierenden Kommentar.
Eine spannende Variante. Dass Alfonso Cuarón ein Regisseur ist der politisch weit links steht, bemerkt man nicht nur an dem Kommentar des marxistisch inspirierten Denkers Zizek, sondern auch an der Beilage des Dokumentarfilms The Possibility of Hope, den Cuarón im Anschluss an Children of Men gedreht hat. Viele bekannte Philosophen und zeitgenössische Kulturkritiker kommen hier zu Wort und geben interessante Einblicke in verschiedene gegenwärtige Zivilisationstheorien.
Mike Beilfuß

