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The Film Music of Ralph Vaughan Williams Vol. 2 (Ralph Vaughan Williams)

Chandos Chan 10244 (70:47 / 22 Tracks)

49th Parallel aus dem Jahre 1941 – der Propagandastreifen richtete sich an die Kriegsbereitschaft der Amerikaner und handelt von einem havarierten U-Boot, das sich über Kanada in die damals noch neutralen USA durchschlagen will – war Vaughan Williams erste Filmarbeit und neben Scott of the Antarctic wohl seine bedeutendste. Vom Score war bislang kaum mehr als das hymnische Prelude in verschiedenen Aufnahmen erhältlich. Stephen Hogger hat für Chandos rund 39 Minuten des Werkes rekonstruiert; damit ist nun eine weitere Lücke im Filmschaffen von Vaughan Williams geschlossen worden.

Die nahe liegende, überpatriotische Musik war Vaughan Williams Sache nicht, er erzählt vielmehr episodenhaft aus dem Leben von Menschen, deren Hauptsorge noch nicht dem Krieg gilt. Der über 11 Minuten lange Prologue ist für sich gesehen beinahe so etwas wie ein Tongedicht, mit eindrücklichen Naturbeschreibungen wie Bewegung und Rauschen des Meeres sowie rauen Stimmungen, die den Scott of the Antarctic schon vorwegnehmen. Wichtige Motive wie das Haupt- und ein bedrohliches Soldatenthema (das später unter anderem im Nazi March wiederkehrt) fehlen ebenso wenig wie eingeworfene Liedfragmente. Vaughan Williams, ein Spezialist für die Bearbeitung von englischen Folksongs, hat hier und in einigen anderen Tracks auf internationales Liedgut zurückgegriffen. „Ein’ feste Burg“ gegen Ende des Prologue, „Alouette“ für den von Laurence Olivier verkörperten frankokanadischen Trapper in Hudson Bay Post, „ Lasst uns das Kindlein wiegen“ – ergreifend interpretiert von der jungen Sopranistin Emilie Gray – in Hutterite Settlement. Daneben gibt es noch manch anderes zu entdecken: Xylophon-Soli um Actionscherzo Control Room Alert, Jazz-Anklänge in Winnipeg I, einen schwungvollen Walzer in Winnipeg II und drei kurze Indian Music für Trommeln und Holzbläser. Kurz: Aus der Feder des grossen englischen Komponisten floss eine stilvolle und abwechslungsreiche Partitur.

„Mit Großbritannien ist es seit dem krieg bergab gegangen und das Land ist nur noch eine trübe kleine Insel, hoffnungslos, unmusikalisch und jetzt, wie immer, im traurigen Niedergang begriffen.“ Eine bösartige Behauptung, die ein paar namhafte Briten nicht im Raum stehen lassen wollten, deshalb entstand der kurze Dokumentarfilm The Dime Little Island (1949), der zeigte, über welche Schönheiten und Vorzüge das Land nach wie vor verfügt. Vaughan Williams engagierte sich nicht nur als Komponist, sondern auch als Erzähler über das englische Musikleben. Ob er als letzterer das Publikum überzeugen konnte, kann wohl niemand mehr sagen, aber ein Score war auf jeden Fall ein gewichtiges Argument, dass es um die britische Musik doch nicht so schlecht bestellt war. Die zauberhafte Eröffnung – eine Bearbeitung von zwei Volksliedern – leitet über zu „Five Variants on Dives and Lazarus“, einem Konzertwerk aus dem Jahre 1939. Der friedliche Fluss, der für Vaughan Williams so typischen samtig glänzenden Streicher wird bei einer der Variationen vom Tenor Martin Hindmarsh begleitet. Derart innige und hingebungsvolle Musik kann wohl nur schreiben, wer Musik und Heimat wirklich liebt.

Die Dokumentation The England of Elizabeth (1957) beschwört das England der Tudor-Zeit herauf. Die Musik kannte man bisher von der dreiteiligen Konzertsuite, die Muir Mathieson erstellt hat. Nun ist die in ihrer Ursprungsform zu hören, in fünf Sätze zusammengefasst und um etwa 10 Minuten länger.

In kurzen Vignetten werden Schauplätze und das Lebensgefühl von damals gestreift; die Musik berichtet von Straßenszenen, Tudor-Häusern, Elizabeth, Heinrich VIII, Büchern, Seeleuten, London, Landkarten, Schlacht, Wellen, Shakespeares Grab, King’s College uvm. Dass auch in dieses Werk Volkslieder und -tänze Eingang gefunden haben, überrascht anhand der Vorlage nicht. Und es hat auch sonst viel zu bieten: Prachtvolle Üppigkeit, etwa beim Hauptthema, das den Score in Form eines gebieterischen Marsches eröffnet und beschließt, ruhige, elegische und lyrische Momente, eine festliche Choreinlage, ein kleines Violinsolo und eine gediegene Schlagzeugabteilung, mit Röhrenglocken, gestimmten Gongs, Glockenspiel und Vibraphon. Während hier nun die ganze Spannbreite der Partitur abgedeckt wird, spielt die alte Suite ein paar der Motive, insbesondere im Satz Poet, länger aus und hat deshalb nach wie vor ihren berechtigten Platz im Vaughan Williams-Repertoire. In beiden Fällen gilt: das ist ganz einfach Musik zum Genießen.

Chandos hat wieder einen Volltreffer gelandet. Zumindest mir, einem ausgesprochenen Liebhaber der Musik von Ralph Vaughan Williams, ist diese CD bereits richtig ans Herz gewachsen, und ich freue mich schon auf Volume 3.

Bewertung: ★★★★☆

Andreas Süess

erschienen in The Film Music Journal 33/34 (Frühling 2005)