
FSM Vol.8 No. 15 (72:21/ 22 Tracks)
Fast wäre Bronislaw Kaper an seinem einzigen Oscar, den er für Lili (1953) erhielt, vorbeigeschrammt, denn eigentlich war er schon für das Historiendrama Plymouth Adventure vorgesehen gewesen, das ihm zunächst weitaus mehr finanzielle Vorteile eingebracht hätte und das schlußendlich von seinem MGM-Kollegen Miklós Rózsa vertont wurde.
Doch Kaper entschied sich für die kleine, aber feine Liebesgeschichte um ein 16jähriges französisches Waisenmädchen (Leslie Caron), das sich mehr und mehr mit einem kriegsversehrten, verhärmten Puppenspieler (Mel Ferrer) anfreundet, weil sich ihm hier die Chance bot, einen Song und ein längeres Ballett beisteuern zu können, ja seiner Musik breiten Raum zu geben. In der Tat avancierte das im Film von Leslie Caron und Mel Ferrer gemeinsam gesungene Hi-Lili, Hi-Lo in den 50er Jahren zu einem der populärsten Hitsongs und wurde in unzähligen Cover-Versionen auch auf Tonträger verewigt.
Von Kapers Originamusik erschien 1953 eine MGM-EP, die neben diesem Song auch noch die zwei instrumentalen Ballett-Tracks Adoration und Lili and the Puppets enthielt. FSM hat nun kräftig im MGM-Archiv gestöbert und die vollständige Original-Filmmusik auf CD herausgebracht. Das Problem, das sich dem Hörer hierbei stellt, ist, daß Kapers eigentlicher dramatischer Score oft von Source Music, will heißen von reiner Zirkusmusik mit dementsprechenden Polkas und Märschen, unterbrochen wird und zudem die 22 Minuten mit Bonus-Material ein kurioses Sammelsurium aus alternativen Zirkusnummern, diversen Versionen des Hi-Lili-Songs, einer zusammengestückelten Trailermusik und recht reizvollen Klavier-Pre-Recordings, die bereits während der Dreharbeiten zu Playback-Zwecken eingesetzt wurden, bestehen.
Will man ehrlich sein, so beschränkt sich der sinfonische Kaper-Score im wesentlichen auf eine knappe halbe Stunde von den im ersten Part der CD zu Gehör kommenden 50 Minuten. Jedoch versprühen diese 30 Minuten so viel Charme, Leichtigkeit und Beschwingtheit, daß sich ein Kauf der CD auch wegen der vorzüglichen Klangaufbereitung auf jeden Fall lohnt. Selbstverständlich bildet die eingängige Melodie des Songs das Grundgerüst für die meisten instrumentalen Stücke wie etwa im fröhlichen Main Title, wo das Akkordeon für das nötige französische Kolorit sorgt, oder im durchkomponierten 12-minütigen Finale, in dem Kaper in Form einer intensiven impressionistischen Rhapsodie sämtliche Gefühlsregister von resignierter Melancholie bis zu komödiantischer Frische bei ständig wechselnder Instrumenterung zieht. Es ist Musik von inniger Herzlichkeit, die Kaper hier geschrieben hat – Musik, die in die Seele der beiden Liebenden blickt, die allein mittels ihres Marionettenspiels ihre wahren Gefühle füreinander äußern, und die von tiefer Anteilnahme geprägt ist.
Das Genie Kapers zeigt sich dabei darin, wie er heitere und nostalgische Klänge in einer ausgewogenen Balance zu halten weiß. Wer sich auf diese entwaffnende Magie einläßt, wird mit einem zauberhaften Hörvergnügen belohnt.
Bewertung: ★ ★ ★ ★
Stefan Schlegel