
Varese VSD-6529 [55:23 / 12 Tracks]
Man könnte fast verschreckt nach den ersten zwei Tracks die Stop-Taste drücken – und würde das Beste verpassen, oder zumindest etwas vom Originellsten was James Horner in den letzten, na sagen wir mal fünf, sechs, vielleicht zehn Jahren geschrieben hat. Besonders das Segment Cambodia I bis IV (die CD ist in drei Segmente mit jeweils vier Tracks unterteilt) mit mächtig elektronisch betonten, sphärischen und ruhigen Passagen ruft die 80er elektronischen Zeiten à la Where the River Runs Black oder Class Action in Erinnerung. Besonders eindrücklich sind diese Momente, wenn Horner akustische Instrumente wie das Klavier oder eine Oboe leise mitschweben lässt. Das tut er zumeist, wenn sein siebennotiges Hauptthema Einlass findet – und nur in wenigen Passagen erhält das betont rücksichtsvoll gehandhabte Orchester einen Alleingang oder darf ein wortloser Kinderchor (?) die Emotionen steigern. Da die Segmente in Ethiopia, Cambodia und Chechnya unterteilt sind, liegt es auf der Hand, dass das Landeskolorit musikalischer bzw. instrumentalischerseits Einfluss erhält, aufdringlicher vor allem im ersten Segment. Umso mehr Überrascht, beispielsweise in Chechnya I die Schwere und Aufdringlichkeit eines rhythmischen Synthesizerklanges, mit dem sich nicht gerade jeder wird anfreunden können. Ohnehin ist Beyond Borders eine Angelegenheit für mutige Filmmusikzeitgenossen mit dem kleinen Funken Hoffnung, dass Horner doch noch zu anderem fähig sein muss als nur große dramatische Epen mit musikalischer Wulst auszustatten. Hach, und genau in diesem Moment schleudert er einem seine eingeübte Dramatik mit, wie Stefan Schlegel dereinst treffend umschrieb, rollendem Klavier und Snare Drums, wieder entgegen, vermischt mit, ja eben, viel Synthesizer und doch wieder dieser orchestralen Macht. Ja, so ganz loslassen konnte er hier noch nicht. Dennoch macht vor allen Dingen der mittlere CD-Teil Cambodia ein wenig Mut, lässt vergangene Innovationen durchschimmern und den Horner im Horner erklingen. Die eingebettete Robert Schumann Dreingabe (Chechnya III), intoniert von Pianist Randy Kerber, legt sich relativ unauffällig in die Stimmung der Horner-Musik ein. Die dramaturgische Erklärung dafür wird aber wohl nur der Film geben. Alles in allem ist hier eine fähige, neu belebende Musik aus Horners Fingern geflossen, die zeit weilen Freude macht, aber wohl dennoch kein Dauergast im CD-Spieler sein wird.
Bewertung: ★★★★
Philippe Blumenthal
erschienen in The Film Music Journal 31/32
Links:
Offizielle Homepage von James Horner
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