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Ohren auf und durch

Zum zweiten Mal versammelten sich namhafte europäische Filmkomponisten im Admiralspalast, um Auszüge aus ihren Scores vorzustellen. Und als ob der vorletztjährige Erfolg der Veranstaltung „The Music of the Image“ nicht Grund genug für diese Neuauflage am 30. November gewesen wäre, gab es auch noch einen ganz offiziellen Anlass: Das zwanzigjährige Bestehen der European Film Academy. Als Glückwunschständchen fungierten die Kompositionen des Belgiers Wim Mertens (Der Lebensversicherer, The Belly of an Architect), des Franzosen Jean-Claude Petit (Jean de Florette, Lady Chatterley, Cyrano de Bergerac), des Schotten Craig Armstrong (The Quiet American, World Trade Center, Love Actually) und des Briten David Arnold (Stargate, Casino Royale). Die Vier waren auch live zugegen und führten kurz in ihre Stücke ein. Leider nicht leibhaftig dabei, aber mit im Programm: der Pole Wojciech Kilar (Ninth Gate, Pan Thadeusz), der Italiener Nicola Piovani mit seinen Jetzt-schon-Klassikermelodien aus La Vita è Bella sowie der im Januar verstorbene Deutsche Peer Raben (2046). Gerahmt wurde das Ganze von zwei Werken des Franzosen George Delerue (1925-1992, La Nuit américaine, Vivement dimanche).


Arnold, Mertens, Brossé, Petit, Armstrong

„As if you’d been given back your own baby“ – so beschrieb Craig Armstrong während der Pressekonferenz die Bedeutung des bevorstehenden Abends für ihn und seine Kollegen. Im eigenen Kämmerlein kreiert und durch die Maschinerie der Kinoindustrie gejagd, abgegeben an ein Millionenpublikum, kehrten die Noten wieder zurück in die eigene Obhut: Die vier Komponisten beaufsichtigten nicht nur die Proben des Flemish Radio Orchestra, Petit nahm während des Konzerts sogar den Platz des Chefdirigenten Dirk Brossé ein. Auf ganz eigene Weise schien Wim Mertens seine beiden Babies her zu beschwören. Am Flügel spielend, durchzog er das sehnsüchtige Thema zu Der Lebensversicherer und das fiebrige „The Struggle for Pleasure“ zu The Belly of an Architect mit einer Art Sirenengesang.


Das Flemish Radio Orchestra bei den Proben

Die unerwartet zart hallende Stimme, mit der der Belgier das Publikum in seinen Bann zog, war das erste Highlight des Abends, dem bedauerlicherweise nur noch wenige folgten. Viel zu selten mochte richtige Spannung im auffällig unausverkauften Admiralspalast aufkommen. Das lag einmal an der Kürze der Score-Auszüge, durch die die Veranstaltung zuweilen an eine sinfonische Snackbar erinnerte, vor allem aber an dem Bebilderungskonzept, das sich auf der über dem Orchester hängenden Leinwand offenbarte. Anstatt sich nach dem Motto „Ganz oder gar nicht“ zu richten, also entweder die zum Score gehörenden Filmszenen zu zeigen oder überhaupt gar keine, hatte man sich für einen Wechsel zwischen Live-Aufnahmen vom Bühnengeschehen und Filmbildern entschieden – und einen recht unausgegorenen obendrein. Immer wieder zerstörten unvermittelt dazwischen geschaltete Einstellungen der agierenden Sinfoniker Momente perfekter Musik-Bild-Symbiose, gelungen war lediglich die Überblendung vom intradiegetischen zum realen Mundharmonika-Spiel bei Jean de Florette. Glück hatte der zuschauende Hörer auch bei den Nummern von Craig Armstrong, die nur selten von Live-Projektionen eingeholt wurden, vor allem beim Haupthema zu The Quiet American und dem Thema zu World Trade Center. Herausgerissen aus der herkömmlichen Dramaturgie, ohne die kitschigen Dialoge und das übertriebene Spiel der Darsteller, entwickelte sich aus dem eigentlichen propagandistischen Pathos von Oliver Stone in Kombination mit der Bildercollage aus subjektiven Zeitlupenaufnahmen im New Yorker Chaos und den eindringlichen, ruhig-resignativen Cello-Klängen eine ergreifende Artefakt-Emotion für das Publikum, das anschließend kräftig applaudierte. Dagegen musste David Arnolds sinfonische Wucht zu Casino Royale fast gänzlich ohne Originalszenen auskommen, dabei hatte Arnold noch kurz zuvor auf den Einfluss hingewiesen, den Daniel Craig als neuer, die Konventionen sprengender Bond-Typ auf den Score ausübte. Fast schon eifersüchtig konnte man da auf Dirk Brossé werden, der die Action-Sequenzen auf seinem kleinen Monitor verfolgen durfte.


David Arnold und Wim Mertens

Kein Ärgernis dagegen die Zusammenstellung der Beiträge. Die Vielfalt filmmusikalischer Stile wolle man vorstellen, so Brossé beim Pressegespräch, und für die war mit der barockartigen Hymne Delerues zu La nuit américaine, den geschmeidig gezupften Tangoklängen zu 2046, dem betörend-unheimlichen Sopran-Stück zu Ninth Gate oder dem pompösen „Star Wars meets Lawrence of Arabia“-Sound zu Stargate gesorgt. Hätte man sich nur auf ein paar Scores weniger verständigt, und diese dann etwas ausgiebiger vorgestellt – der Abend wäre genussvoller verlaufen.

Sebastian Kuhn